Prag, 13. Mai 1860. Heimlich quartiert sich Friedrich Smetana in einem Prager Hotel ein und geht shoppen. Hoffentlich erkennt ihn Niemand, wenn er durch die Altstadt zieht mit prall gefüllten Taschen. Aber warum "verkauft" er der Verwandtschaft die Geschenke als Mitbringsel aus Schweden?
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Knapp sechs Tage war Smetana von Göteborg nach Prag unterwegs. Die lange Reise schlaucht ihn jedes Mal. Trotzdem geht er nicht gleich nach Hause, weil: Seine Taschen sind leer. Und so ganz ohne Geschenke möchte er sich bei der Verwandtschaft und vor allem bei der Verlobten nicht blicken lassen. Immerhin steht in zwei Monaten die Heirat mit Bettina Ferdinandi an. Und diese zweite Frau will der Witwer Smetana auf Händen tragen: "Bist du einmal meine Frau, so wird das Nichtsmachen deine Hauptbeschäftigung sein, damit du mir ja nicht krank wirst."
Auf Friedrich Smetanas Reiseroute liegen eigentlich jede Menge Städte mit hübschen Läden: Hamburg, Berlin und auch Dresden. Von Schweden ganz zu schweigen. Schon seit knapp vier Jahren pendelt der Komponist und spätere Erfinder der berühmten "Moldau" zwischen Prag und Göteborg. Also kennt Smetana mittlerweile jeden Winkel der Stadt. Und Tipps für Mitbringsel könnte er sich bei den Eltern holen, die ihre Kinder täglich in seine private Musikschule bringen. Woran hakt es also? Am Geld vielleicht?
Eher nicht. In Göteborg sammeln sich an jedem Monatsende viele Umschläge mit vielen Thalern auf Smetanas Schreibtisch. "Das hätte ich in Böhmen nie verdienen können", brummt Smetana immer wieder vor sich hin und zählt das Geld. Der Grund für die leeren Taschen ist also ein anderer: "Es ist meine Vaterlandsliebe, die es mir verwehrt, im Ausland einzukaufen". Seine Liebe ist so ausgeprägt, dass er sich nicht nur die Zeitung "Bohemia" nach Göteborg nachschicken lässt, um damit stets auf dem neuesten Stand der politischen Entwicklung zu sein. Sondern eben auch, dass er alle Geschenke lieber in Prag einkauft, bei heimischen Geschäftsleuten, bei Leuten, denen er vertraut und vor allem, denen er ganz klar mitteilen kann, was er will.
Seine "Shoppingtour" plant er ziemlich raffiniert, der Friedrich Smetana. Er schaufelt sich erst mal einen Tag dafür frei, heißt, er kündigt der Familie seine Ankunft einen Tag später an! Und an dem auf diese Weise gewonnen Tag steigt Smetana heimlich in Prag im Hotel ab. "Zum blauen Stern" heißt die zentral gelegene Unterkunft. Von dort aus begibt sich Smetana im Kaufrausch auf Beutezug: zum Stoffhändler, zum Keramikhändler, in die Nähstube und auch zum Goldschmied. Bei Čeněk Bubeníček kauft Smetana kostbare Edelsteine, für seine Zukünftige, also für Bettina und für sein Töchterchen Sophie.
Natürlich muss er bei seinem Rundgang durch die Altstadt von Prag ganz schön auf der Hut sein, dass er nicht zufällig irgendeinem Bekannten über den Weg läuft, der ihn womöglich erkennt! Also zieht er seine blaue flache Mütze mit der Quaste, die er sich in Schweden gekauft hat, ganz tief ins Gesicht. Er will auf keinen Fall in Erklärungsnot kommen, wenn er gebeugt und bepackt mit Taschen voller Geschenke durch die Gassen streift, wie ein Maulesel. Die Verwandtschaft jedenfalls lässt Friedrich Smetana im festen Glauben, er habe alle Geschenke aus der großen weiten Welt mitgebracht.
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Smetana: Má Vlast, No. 2. Vltava (River Moldau) - Daniel Barenboim, Wiener Philharmoniker
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Sendung: "Allegro" am 13. Mai 2024 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK