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8. Dezember 1959 – Glenn Gould klagt auf Schmerzensgeld Genialer (gemeiner) Hypochonder

New York, 8. Dezember 1959: Der Pianist Glenn Gould ist an diesem eisigen Wintertag zu Gast in der Steinway Hall, der Zentrale des Konzertflügel-Herstellers in der 57. Straße in Manhattan. Dort trifft er sich mit William Hupfer, dem Chef-Klavierstimmer, um am Klang seines Flügels zu arbeiten. Allerdings sind die beiden über das Klangideal nicht immer einer Meinung. Nach einem kleinen Disput versucht es Hupfer mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen, um die Stimmung wieder etwas aufzulockern – mit schrecklichen Folgen.

Glenn Gould im August 1959 | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Das Kalenderblatt zum Anhören

Gould schildert einer Geschäftspartnerin den Vorfall in einem Brief: "Du hast wahrscheinlich gelesen, dass ich im Winter überhaupt nicht in Europa sein werde. Vor etwas mehr als einem Monat zog ich mir eine Verletzung am linken Arm und an der Schulter zu, und zwar bei einem 'Unfall', wie man galanterweise sagen könnte. Da an dem Unfall jedoch einzig und allein die Idiotie eines leitenden Angestellten von Steinway Schuld war und das Ganze wahrscheinlich noch ein gerichtliches Nachspiel haben wird, kann ich nicht völlig gelassen darüber sprechen."

Hypochondrie oder ernsthafte Verletzung?

Nein – gelassen wäre wirklich nicht die richtige Beschreibung für die Reaktion von Glenn Gould. Zwar beruhigte er sich vor Ort in der Steinway Hall nach einem kurzen Ausraster, doch in der Folge konsultierte er fünf Spezialisten wegen Schmerzen in der Schulter und sah sich monatelang außer Stande zu üben und sich zu konzertieren. Immer wieder thematisierte Gould später in seinen Briefen das Ereignis: "Ich werde derzeit zweimal pro Tag behandelt – einmal mit Medikamenten und einmal von einem Chiropraktiker – und bin doch reichlich unzufrieden mit den bisher eher spärlichen Ergebnissen."

Glauben Sie mir, jetzt würde ich ihm gerne eine schmieren, dafür, dass er so eine miese Ratte war.
William Hupfer über Glenn Gould

Klage auf Schadensersatz

300.000 Dollar Schadensersatz fordert Gould von Steinway – die bezahlen schließlich 9.500 Dollar. Für sein exzentrisches Verhalten und seine Hypochondrie war der Pianist ja durchaus bekannt, aber hatte er es hier nicht etwas übertrieben? William Hupfer konnte diese Episode jedenfalls sein Leben lang nicht vergessen: "Ich habe ihn nicht geschlagen. Niemals. Aber glauben Sie mir, jetzt würde ich ihm gerne eine schmieren, dafür, dass er so eine miese Ratte war."

Glenn Gould spielt Bach

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Glenn Gould - J.S. Bach "Goldberg Variations", 03.06.1964 (OFFICIAL) | Bildquelle: Glenn Gould (via YouTube)

Glenn Gould - J.S. Bach "Goldberg Variations", 03.06.1964 (OFFICIAL)

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 08. Dezember 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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