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Der Komponist Gérard Grisey Experimentieren mit Naturtönen

Sie sind allgegenwärtig, und bereits Kinder lassen sich für sie begeistern: Obertöne. Gérard Grisey ging dem Naturphänomen auf den Grund und nahm die Töne mit Hilfe des Computers bis in ihr Innerstes akustisch unter die Lupe. Der Grundstein für eine neue Musikrichtung war gelegt.

Bildquelle: allmusic

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Man hört sie immer, wenn etwas klingt. Jedem Ton geben sie die Farbe, jedem Wort den Klang: die Obertöne. Kinder entdecken dieses Naturphänomen oft auf spielerische Weise, wenn sie einen Gartenschlauch durch die Luft wirbeln lassen. Erst hört man die Intervalle des reinen Dur-Dreiklangs. Je schneller der Schlauch allerdings kreist, desto höher und dissonanter werden die Obertöne. Immer enger liegen sie beieinander, bis es so kleine Tonschritte sind, dass sie nicht mehr in unsere Tonleitern passen – und doch verschmelzen selbst diese fernen Obertöne auf faszinierende Weise mit dem Grundton.

Neue Klangwelten

Der Komponist Gérard Grisey hat aus diesem Naturphänomen neue Klangwelten erschlossen. Geholfen hat ihm dabei der Computer. In den 70er Jahren wurde es möglich, das Innenleben der Töne, ihre in allen Farben schillernden Obertöne akustisch unter die Lupe zu nehmen. Wenn man einen Ton spielt, zum Beispiel das tiefe E einer Posaune, bauen sich in Sekundenbruchteilen die Obertöne darüber auf – manche sehr deutlich, andere kaum hörbar. Mithilfe des Computers verlangsamte Grisey diesen akustischen Vorgang und übertrug ihn auf das Orchester. So gewann er das Material für seinen monumentalen zweistündigen Zyklus "Les Espaces acoustiques". Zu Beginn spielt eine Bratsche allein, immer mehr Instrumente treten hinzu, und am Schluss schillert das Spektrum der Obertöne als akustischer Regenbogen in allen Farben des Orchesters.

Der Klang ist ein Wesen, durchtränkt mit organischem Leben, belebt von einem inneren Atem.
Gérard Grisey

Spektralmusik

Mit seiner Musik hat Grisey eine ganze Schule beeinflusst, die sogenannte Spektralmusik. Die Liebe zur Sinnlichkeit des Klangs hat er von seinem Lehrer Olivier Messiaen übernommen, ebenso die Faszination durch den unerschöpflichen Reichtum der Natur. In "Le Noir de l'etoile" hat Grisey aus dem rhythmischen Pulsieren ferner Sterne, auch Pulsare genannt, ein faszinierendes Schlagzeugstück gemacht. Musik als magische Erfahrung, Hören als lustvolles Abenteuer. Am 11. November 1998 erlag Gérard Grisey mit nur 52 Jahren einem Hirnschlag. Viel zu früh starb ein großer Komponist des 20. Jahrhunderts.

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Le Noir de l'étoile, avec Gérard Grisey et Jean-Pierre Luminet | Bildquelle: Jean-Pierre Luminet (via YouTube)

Le Noir de l'étoile, avec Gérard Grisey et Jean-Pierre Luminet

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