Obwohl Beethoven von op. 101 an versuchsweise die übliche Bezeichnung "Pianoforte" durch das deutsche Wort "Hammerklavier" zu ersetzen versuchte, nennt die ganze Welt nach einem stillschweigenden Übereinkommen die Riesensonate op. 106 doch nur "Hammerklaviersonate". Das Stück ist nicht nur eine der längsten Sonaten der Musikgeschichte, sondern gehört zu den technisch schwierigsten und für Interpreten wie Zuhörer gleichermaßen zu den geistig anspruchvollsten Klavierwerken aller Zeiten.
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Das starke Stück
Ludwig van Beethoven - Hammerklaviersonate op.106
Als Beethoven die Sonate in den Jahren 1817-1818 komponierte, befand er sich mitten in einer Lebenskrise. Er stand im Streit um die Vormundschaft seines Neffen Karl und hatte finanzielle Probleme. Außerdem war er ab März 1818 völlig taub. Keine Hoffnung auf Heilung.
Beethovens "Hammerklavier-Sonate" war zur Zeit seiner Uraufführung das radikalste und neuartigste Werk des Sonatenzyklus. Hier geht Beethoven an die Grenze dessen, was dem Klavier an Ausdrucksformen abverlangt werden kann. Trotz der riesigen Dimension der Sonate kommt es im op.106 zu einer einzigartigen Konzentration und Variierung des musikalischen Materials. Dabei entsteht das Werk nur aus einem einzigen Intervall - einer Terz.
Die Pianistin Dina Ugorskaja, geboren 1973 in Leningrad | Bildquelle: Marion Koell/CAvi-music
Den Beginn der Sonate markiert eine Reihe kraftvoller, klar rhythmisierter Fortissimo-Akkorde, die sogleich, um eine Terz nach oben versetzt, wiederholt wird. In der Fortsetzung des Themas tritt erneut die Terz hervor, und auch für die folgenden Sätze hat dieses Intervall konstruktive Bedeutung. Das rasante Scherzo, entfaltet die Terz in allen möglichen Variationen, wechselnd zwischen Dur und Moll.
Der Kontrast zwischen spritzigem Scherzo und dem folgenden tiefgründigen Adagio könnte nicht größer sein. Mit circa 20 Minuten Spieldauer ist der dritte Satz einer der längsten Sätze, den Beethoven je komponiert hat, und in seiner Ausdrucksintensität einer der stärksten. Im großen Adagio sostenuto, den der Musikschriftsteller Wilhelm von Lenz treffend ein "Mausoleum des Kollektivleids" nannte, erreicht die Sonate ihren Schwerpunkt. Wut, Klage und Trost – die Gefühlspalette ist im Adagio sehr reich.
Komponist und Pianist Franz Liszt (1811 - 1886) | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Mit einer halsbrecherischen Fuge geht die größte aller Beethoven-Sonaten zu Ende. Der Komponist sollte mit seiner Prophezeiung Recht behalten. Es dauerte lange und bedurfte solch herausragender Pianisten wie Clara Schumann, Franz Liszt und insbesondere Hans von Bülow, der zwecks besserem Verständnis der Sonate sie gleich zwei mal hintereinander bei seinen Konzerten zu spielen pflegte, bis die Sonate Einzug in den Konzertsaal halten konnte. Doch auch wenn mittlerweile die Berührungsängste verschwunden sind, erklingt die Hammerklaviersonate in heutigen Konzerten immer noch zu selten. Das Werk bleibt nach wie vor einer der schwersten Prüfsteine für jeden Pianisten.
"Erstens ist es natürlich die Länge, es ist in der Tat die längste Sonate, die dauert je nach der Länge unterschiedlich von 45 bis 50 Minuten. Das zweite ist natürlich geistige Beherrschung des Stückes - selbst Hans v. Bülow hat gesagt - nach 25 Jahren, die er sich dem Stück gewidmet hat, hat er das Gefühl, jetzt kann er das Stück spielen. Was soll man dann selber dazu sagen? Aber natürlich auch die technischen Schwierigkeiten - und man wächst mit, und das ist ein wichtiger Aspekt, dass man das Gefühl hat: das ist ein Mount Everest und man versucht einfach immer wieder dahinzukommen, auf diese Spitze." Dina Ugorskaja
Ludwig van Beethoven: Klaviersonate Nr. 29 B-Dur, op. 106 ("Hammerklaviersonate")
Dina Ugorskaja, Klavier
Label: Cavi-Music (Harmonia Mundi)