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9. Juli 1971 – Beethovens "Ode an die Freude" wird Europahymne Eine Musik der Freiheit?

West-Berlin 9. Juli 1971: Der Europarat macht Beethovens "Ode an die Freude" aus seiner Neunten Symphonie zur offiziellen Europahymne. Diese Musik wurde schon immer gerne für politische Zwecke genutzt – und zwar von Diktaturen und Demokratien gleichermaßen. Im Europaparlament erklingt sie bis heute ohne Text, als ein parlamentarisches "Lied ohne Worte".

Flaggen vor dem Europaparlament | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Das Chor-Finale aus Beethovens Neunter Symphonie ist nicht einfach nur ein großartiges Stück Musik. Es ist viel, viel mehr – nur was? Ein Kritiker der Uraufführung hörte darin "wild lärmenden ungeheuren Spott", Richard Wagner dagegen den "Schrei der universellen Menschenliebe". Der Sozialist Kurt Eisner ging noch einen Schritt weiter: "Im gewaltigen Klassenkampf des Proletariats glüht der Götterfunken der Freude."

Oft benutzt, viel missbraucht

Berühmtes Porträt von Ludwig van Beethoven | Bildquelle: © picture alliance/CPA Media Ludwig van Beethoven | Bildquelle: © picture alliance/CPA Media Armer Beethoven. Die Nazis spielten seine Neunte zu Hitlers Geburtstag und das Apartheid-Regime in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, machte sie gar zur Nationalhymne. Seine Bewunderer kann man sich nicht aussuchen. Immerhin gab es auch Demokraten, die sich Beethovens unsterbliche Melodie für politische Zwecke "ausgeliehen" haben. Die Nato spielte sie zur Eröffnung ihres Brüsseler Hauptquartiers, François Mitterrand zu seiner Amtseinführung und Leonard Bernstein nach dem Fall der Mauer – mit dem modifizierten Text "Freiheit [statt: Freude], schöner Götterfunken". Die Legende, dass Friedrich Schiller ursprünglich "Freiheit schöner Götterfunken" geschrieben habe und erst die staatliche Zensur das politisch anstößige Wort durch "Freude" ersetzt haben soll, geht schon auf das 19. Jahrhundert zurück.

Entscheidung in Westberlin

Solche heiklen Diskussionen um den Text hat der Europarat wohlweislich vermieden. Am 8. und 9. Juli 1971 tagte in Westberlin, ungeachtet des Protests der DDR, der "Ausschuss für Raumordnung und Gemeindefragen" des Europarates. Dieses sonst mit eher trockenen Themen wie Handelsspannen, Tarifen und Normierungen befasste Gremium erkor das Finale von Beethovens Neunter zur offiziellen Europahymne.

Karajan macht's möglich

Nur – wer macht aus einem etwa 25-minütigen chorsymphonischen Riesensatz eine nutzerfreundliche Hymne, die bei Staatsakten auch einigermaßen im Rahmen bleibt? Nicht irgendwer bekam den Auftrag, sondern ein Dirigent mit dem passenden Spitznamen "Generalmusikdirektor Europas": Herbert von Karajan. Der arrangierte die Takte 140 bis 187 aus Beethovens Finale für Bläser. "Vielleicht wird es irgendwann einen Text geben", heißt es dazu im Dokument 2978 des Europarates. Zweifel sind angebracht. Ein Lied ohne Worte, das ist irgendwie praktisch für einen Kontinent, der auf seine Vielsprachigkeit stolz ist. Und was Beethovens Melodie wirklich bedeutet, das steht ohnehin auf einem anderen Blatt.

Freudenhymnus provoziert schlechtes Benehmen

Allerdings: Zu Kontroversen taugt das Werk nach wie vor. Am 2. Juli 2019 stellten sich, wie "Der Tagesspiegel" in seiner Online-Ausgabe vom selben Tag berichtet, bei der Eröffnungssitzung des neuen Europaparlaments Mitglieder der Brexit-Partei und anderer rechtspopulistischer Vereinigungen mit dem Rücken zum Plenum auf, als Beethovens Hymne erklang – um damit deutlich zu machen, was sie von Europa halten.

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