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Buchtipp – "Stockhausen. Der Mann, der vom Sirius kam" Ein Komponistenleben als Graphic Novel

Seine Melodien kann man nicht nachpfeifen, seine Stücke sind kompliziert. Und trotzdem hat Karlheinz Stockhausen eine Bekanntheit erreicht wie kaum ein anderer Komponist der Nachkriegszeit. Mit wallendem Haar und stechendem Blick wurde er sogar für die Popkultur zur Ikone. Bands wie Kraftwerk und Can waren von ihm beeinflusst, die Beatles haben ihn auf einem ihrer LP-Cover verewigt. Nun ist der Avantgardist sogar zum Comic-Helden avanciert: Autor Thomas von Steinaecker und Illustrator David von Bassewitz haben Stockhausen zur Titelfigur einer Graphic Novel gemacht.

Stockhausen-Biografie | Bildquelle: Carlsen Verlag

Bildquelle: Carlsen Verlag

Er kommt von einem anderen Stern, er kämpft gegen das Dunkel und für das Licht und er verändert die Welt (naja, zumindest die Musikwelt). Karlheinz Stockhausen hat alles, was ein Superheld braucht. Und verwandelt so die Sommerferien-Langeweile des 12-jährigen Thomas aus dem beschaulichen Oberviechtach in ein großes Abenteuer.

Karlheinz Stockhausen, ein Superheld?

1989 bekommt der Junge eine Platte mit Stockhausens Tonband-Stück "Gesang der Jünglinge" geschenkt. Als er dann noch erfährt, dass dieser Komponist behauptet, vom Stern Sirius zu stammen und an einer sieben Tage langen Oper namens "Licht" schreibt, ist es um ihn geschehen. Der Winnetou-Starschnitt wandert in den Papierkorb, ein Stockhausen-Poster kommt an die Wand, und den Rest der Ferien erkundet Thomas mit Hilfe von Schallplatten und Büchern das fremdartige Stockhausen-Universum.

Thomas von Steinaecker erzählt in seiner Graphic Novel zwei wahre Geschichten: zum einen die Biografie von Karlheinz Stockhausen, von der Kindheit im Dritten Reich über die Künstlerwerdung und erste Skandalerfolge bis zum weltweiten Ruhm und zur Konzeption des Opernzyklus "Licht". Zum anderen die Geschichte von Steinaeckers eigener jugendlicher Schwärmerei, die später zu einer engen Freundschaft mit dem bewunderten Komponisten führen sollte.

Kurz und bündig

Dieses Buch ist wie geschaffen ...
...
für alle, die sich dem Kosmos Stockhausen oder ganz generell dem Kosmos Neue Musik annähern wollen – ein wunderbarer erster Zugang.

Dieses Buch wird lieben, wer ...
...
intelligent und liebevoll gemachte Comics mag – oder intelligent und liebevoll gemachte Klänge.

Dieses Buch liest man am besten zu Musik von …
... Stockhausen natürlich: zum "Gesang der Jünglinge", zu den "Kontakten", den "Gruppen" und vieles andere. Oder noch besser: man liest erst und hört danach!

Stockhausens Jugend im Dritten Reich, dargestellt in bedrückend dunklen Farben

Dabei ist das Buch dort am eindrücklichsten, wo Stockhausens Biografie so gar nichts Superheldenhaftes hat: in seiner Jugend. Thomas von Steinaecker und sein Illustrator David von Bassewitz zeichnen sie auf der Basis von Dokumenten, Gesprächen mit Zeitzeugen und mit Stockhausen selbst in bedrückend dunklen Farben nach: die psychisch kranke Mutter, die vor den Augen des Jungen in die Psychiatrie abgeführt und später von den Nazis ermordet wird. Der autoritäre Vater, der sich, als der Krieg verloren geht, freiwillig an die Front meldet und nicht zurückkehrt. Das Grauen im Kriegslazarett, wo Gliedmaßen im Akkord amputiert werden und Stockhausen die entstellten Opfer von Phosphorbomben notdürftig versorgt. Ein Wunder, dass aus dieser lieblosen Kindheit kein schwer traumatisierter Mensch hervorgeht, sondern einer der kreativsten Köpfe des 20. Jahrhunderts.

Kurzweilige 400 Seiten, nicht nur für Stockhausen-Fans

Ein kleines Wunder auch, wie David von Bassewitz Stockhausens Klänge in Grafik übersetzt: in blaue, rote und schwarze Kringel und Kleckse, in Zahlen und Wortfetzen, in wildwuchernde Notenungetüme, die sich über alle Bildgrenzen hinwegsetzen und sowohl die komplexe Vielschichtigkeit als auch die überwältigende Wirkung von Stockhausens Musik sichtbar machen. So kurzweilig sind diese 400 Seiten, dass man es umso mehr bedauert, dass die Geschichte just dort abbricht, wo es nochmal spannend wird: als Stockhausen die Arbeit an seinem "Licht"-Zyklus beginnt – und sein messianisches Sendungsbewusstsein zunehmend sektenhafte Züge annimmt.

Da wächst die Neugier darauf, wie Thomas von Steinaecker seine Superhelden-Geschichte im zweiten Band aus der Erwachsenen-Perspektive wohl weiterschreiben wird. Der erste Band jedenfalls ist schon mal ein großer Wurf und Stockhausen-Einsteigern genauso zu empfehlen wie Stockhausen-Fans.

Infos zum Buch

Thomas von Steinaecker, David Bassewitz
STOCKHAUSEN – DER MANN, DER VOM SIRIUS KAM
Graphic Novel
Carlsen Verlag
44,00 Euro

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