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Was heute geschah – 24. September 1953 Stockhausen komponiert einen Böllerschuss

Köln, 24. September 1953. Schon seit Monaten tüftelt Karlheinz Stockhausen in einem Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks an einem neuen Stück. Es ist vielleicht das Abstrakteste, was bis dahin komponiert wurde. Eine Etüde für Tonband - ohne Musiker, ohne zuvor aufgenommene Geräusche, zusammengesetzt allein aus den Atomen des Klangs: den Sinustönen.

Karlheinz Stockhausen | Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com

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Alles, was in diesen zehn Minuten erklingt, hat Stockhausen aus einer Zahlenreihe abgeleitet: die Tonhöhen, die Rhythmen, die Lautstärken, sogar die Klangfarben. Nichts ist dem Zufall überlassen. Ein Oszillator produziert die Sinustöne, Stockhausen nimmt sie auf, schneidet dann das Tonband zurecht, klebt die Schnipsel mit Aceton zusammen – alles gemäß seinem kompliziert errechneten Plan. So hat das noch keiner gemacht. Mit dieser Tonbandstudie wird Stockhausen zum Vater der Elektronischen Musik.

Stockhausen wird Vater

Aber auch in einem ganz realen Sinn wird Stockhausen in diesen Tagen Vater. Seine Frau Doris erwartet ein Kind. In der Nacht zum 24. September 1953, früh um halb zwei, bringt der Komponist seine Frau in die Klinik.

"Wie ein Kanonendonner zum Karneval am Rhein"

"Ich wurde erst am nächsten Morgen gegen 12 wieder zu Doris gelassen, als alles vorbei war", erinnert sich der Komponist. Zu aller Außerordentlichkeit des Tages habe ich seit 7 im Studio gearbeitet, immer wieder telefoniert und mich dann daran gemacht, einen Böllerschuss in die Struktur zu arbeiten, der gar nicht dorthin musste nach der Partitur, der unter den vielen Tonbandstückchen am Boden lag und wie ein Kanonendonner zum Karneval am Rhein klang. Das war um halb 10, als gerade das Baby per Telefon angekündigt wurde."

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Karlheinz Stockhausen - STUDIE 1 (1953) | Bildquelle: Sebastian Ars Acoustica (via YouTube)

Karlheinz Stockhausen - STUDIE 1 (1953)

Abstrakte Stücke mit geheimer Bedeutung

Der "Böllerschuss" ist zunächst ein ganz privater Gag. Im Werkkommentar für die Öffentlichkeit erwähnt Stockhausen kein Wort davon, und für den unbefangenen Hörer ist der Klang, der da nicht hingehört, überhaupt nicht zu bemerken. Erst viele Jahre später wird Stockhausen verraten, dass manche seiner anscheinend abstrakten Stücke eine geheime Bedeutung haben: "Ich habe diesen Klang in meine heilige Studie hineinmontiert, und da sitzt er noch heute und macht einen fürchterlichen Krach, und niemand außer mir weiß, was er eigentlich bedeuten soll: dass er nämlich der Donnerschuss zur Geburt meiner Tochter Suja ist."

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 24. September 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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