Sie führt ein Schattendasein: die 1913 in Monte Carlo uraufgeführte Oper "Pénélope" von Gabriel Fauré. Bei den Münchner Opernfestspielen kommt sie auf die Bühne des Prinzregententheaters. Die renommierte Regisseurin Andrea Breth gibt ihr spätes Debüt an der Bayerischen Staatsoper, am Dirigentenpult steht die Finnin Susanna Mälkki. Ob sich die beiden Damen der Geschichte des Hauses bewusst sind, das gerade auch bei den Festspielen immer schon eine wichtige Rolle gespielt hat?
Bildquelle: © Felix Löchner
Im Fokus des Bühnengeschehens steht eine weitere Frauengestalt, wenngleich eine mythische. Wie so oft im französischen Musiktheater seit den Tagen von Jean-Baptiste Lully oder Christoph Willibald Gluck. Das Libretto der "Pénélope" basiert auf Homers "Odyssee" und erinnert Opernfans sicher an eine der historisch frühesten Opern des 17.Jahrhunderts: Claudio Monteverdis "Il ritorno d’Ulisse in patria". Die Liste der vom Stoff begeisterten Komponisten der Moderne ist lang: Henze, Liebermann, Dallapiccola, Berio, Zender. Und worum geht es im Kern?
Seit zwanzig Jahren wartet eine Frau auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg - und wird währenddessen von mehreren Freiern umworben, die sich als halb Galan, halb Brutalo erweisen. Die liebende Pénélope bleibt standhaft, gefangen in ihren Sehnsuchts-Träumen. Eines Tages tritt der vermisste Ulysse, unerkannt als Bettler verkleidet, seiner Gattin gegenüber und empfiehlt ihr, genau den Freier zu erhören, der stark genug ist, seinen Bogen (den ihres Mannes) zu spannen. Bei Gabriel Fauré wird daraus ein zartes Liebesduett: ein Nocturne von berückender Aura.
Musikalisch verneigt sich die Partitur einerseits vor Richard Wagner und dessen Leitmotivik. Neben Pénélope mit schmerzvoll doppelt punktierten Bassschritten erhalten auch Ulysse und die Freier prägnante, durch enorme Intervallsprünge markierte Tonfolgen zugeordnet. Hier dürfen Orchestermusikerinnen und -musiker, Dirigentinnen und Dirigenten in großen Bögen atmen. Die Instrumentationskunst Faurés zielt auf lichte Pastellfarben, ob in den Streich- oder Holzblasinstrumenten: Da grüßt die enigmatische Klangwelt des "Lohengrin"-Vorspiels.
Was die vokale Ausgestaltung der Partien betrifft, orientiert sich der Komponist allerdings gar nicht an Wagner. Und auch von Landsmann Claude Debussy und dessen "Pelléas et Mélisande" distanziert er sich. Bei Fauré gibt es keine klassische Arienform und keine unendliche Melodie. "Pénélope" zelebriert eine Osmose aus rezitativischen und ariosen Elementen und steuert dabei eine sanft flutende Lied-Oper an. Die Gattungsbezeichnung "Poème lyrique" verweist auf die weichen Züge der Musik Faurés. Schließlich hat er rund hundert "mélodies" hinterlassen, Gedichtvertonungen eigener Art - weshalb er auch als "französischer Schumann" bezeichnet wird.
Ganz ohne emotionale Ausbrüche geht es aber nicht: In der vereinsamten Titelfigur regiert zwar Traurigkeit, aber punktuell flackert Hoffnung auf – vielleicht kehrt der Mann ihres Lebens ja doch zurück? Die wechselnde Stimmungslage von Pénélope wird psychologisch subtil gezeichnet. Der kontrapunktische Ehrgeiz Faurés intensiviert die innere Dramatik des äußeren Bühnengeschehens. Inwieweit allerdings in der samtenen Pracht des Finales der eigentlich glückverheißenden Tonart C-Dur zu glauben ist, bleibt eine offene Frage.
Das Publikum, das sich nun im Münchner Prinzregententheater die "Pénélope"-Neuproduktion zum 150.Geburtstag der Opernfestspiele ansieht, fragt sich vielleicht, welche Bedeutung dieses kleine Haus der Bayerischen Staatsoper eigentlich in der Geschichte der Institution besessen hat. Das Haus, das etwa halb so viele Plätze aufweist wie das repräsentative Nationaltheater, wurde im August 1901 eröffnet. Der Namenspatron des Prinzregententheaters - Luitpold - war damals abwesend: Er trauerte um die Mutter des Deutschen Kaisers, verwitwete "Kaiserin Friedrich", die wenige Tage zuvor gestorben war.
Über die Bühne ging vor Ort als erstes eine Neuinszenierung von Wagners "Meistersingern" (Regie: Ernst von Possart). An der Interpretation war der damalige königliche Hofkapellmeister Herman Zumpe maßgeblich beteiligt, ein "feuriger Dirigent von exquisiter musikalischer Begabung", wie Wagner meinte. Das Publikum staunte wohl vor allem über den amphitheatralischen Zuschauerraum und die konzeptionelle Ähnlichkeit mit dem damals 25 Jahre alten, allerdings doppelt so großen Festspielhaus auf dem Grünen Hügel.
Was Wagner betrifft, gab es die zehn Werke des Bayreuther Kanons auch alle im Prinzregententheater, darüber hinaus sogar Jugendwerke wie "Die Feen" (1910). Anders als in der oberfränkischen Stadt wurden Vorstellungen im Prinzregententheater auch während der Saison angesetzt - nicht nur in der Sommerpause. Und nicht nur Wagner stand auf dem Programm: So kam es etwa 1917 zur Uraufführung von Hans Pfitzners "Palestrina". Und dort, wo Jahrzehnte später eine Theaterakademie gegründet werden sollte, hat das Genre des Sprechtheaters auch schon in den ersten Spielzeiten des Hauses Beachtung gefunden.
Durch die Zerstörung des Nationaltheaters während eines Bombenangriffs im Oktober 1943 wurde der Spielbetrieb der Bayerischen Staatsoper nach Kriegsende ins Prinzregententheater verlegt. Die ersten Festspiele gab es dort 1950. Wie in früheren Jahren achteten die Intendanten darauf, die alten Hausgötter zu pflegen, regelmäßig Wagner und Mozart aufzuführen. Und mit der Zeit immer öfter auch Richard Strauss. Mindestens sieben von dessen Opern kamen bei Rudolf Hartmann innerhalb eines Sommers zur Geltung: zwischen 1950 und 1954 etwa "Daphne" und "Die Liebe der Danae", "Salome" und "Die Frau ohne Schatten". Durch herausragende Neuproduktionen, die daraufhin dem Repertoire einverleibt wurden, wuchs die Attraktivität der Festspiele. Eine wichtige sommerliche Uraufführung war aber auch "Die Harmonie der Welt" von Paul Hindemith (1957).
Mit dem Blick auf die letzten drei Jahrzehnte kann man sagen, dass sich seit der Münchner Barockopern-Renaissance, seit der Neuproduktion von Claudio Monteverdis "L’Incoronazione di Poppea" (1997), eine weitere willkommene Tradition herausgebildet hat. Bis heute geht eine der beiden repräsentativen Festspielpremieren der Bayerischen Staatsoper im Prinzregententheater über die Bühne! Es hat in dieser Funktion die Rolle des früher öfter eingebundenen Cuvilliéstheaters übernommen. Und die künstlerische Qualität auf szenischer wie musikalischer Seite ist in der Regel bei den Festspielen so hoch, dass man eine andere, leider ebenso etablierte Tradition bedauern muss: In vielen Fällen findet keine Übernahme der Neuinszenierung ins Repertoire oder in den Spielplan der kommenden Saison statt. Einer der Gründe dafür: Was an Bühnenbildern für das Prinzregententheater entworfen wird, ist keineswegs problemlos auf die Dimensionen der viel größeren Bühne im Nationaltheater übertragbar. Wiederum für den heutigen Intendanten erfreulich daran? Im kleinen Haus ist "Pénélope", obwohl sie keiner kennt, in Windeseile ausverkauft…
BR-KLASSIK überträgt "Pénélope" live aus dem Münchner Prinzregententheater am 18.Juli 2025 ab 19 Uhr live im Radio.
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