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Kommentar – So steht es um die Bayreuther Festspiele Zwei Sorten von Buhs

Bei den Bayreuther Festspielen sind alle Premieren dieser Saison über die Bühne gegangen – mit sage und schreibe fünf Neuinszenierungen und einigen Wiederaufnahmen. Wie ist die Bilanz und wie geht’s weiter auf dem Grünen Hügel? Ein Kommentar von BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff.

"Götterdämmerung" Bayreuther Festspiele 2022 | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Was für eine archaische Wucht so ein Buhsturm hat, davon vermittelt ein Videostream lediglich eine schwache Vorstellung. Nur wer das im Raum erlebt und körperlich gespürt hat, weiß, welche Summen von negativer Energie sich im Bayreuther Festspielhaus kollektiv entladen haben, als das Regie-Team um Valentin Schwarz nach der Premiere der "Götterdämmerung" vor den Vorhang trat. 

DA MUSS WAS RAUS

Natürlich hat das Publikum jedes Recht, sein Missfallen zu äußern. Theater ist keine kommunikative Einbahnstraße. Und in 15 Stunden des konzentrierten Aufnehmens staut sich ein entsprechend hoher Erregungspegel – bei einer so heftigen Musik in Verbindung mit diesem dann doch ziemlich komplexen Bühnengeschehen. Da will und muss dann einfach was raus. Psychologisch ist das wohl unvermeidbar: Katharsis, Reinigung, nannten das die alten Griechen. Im Guten wie im Schlechten. Die wenigen Fans des Regiekonzepts gingen akustisch hoffnungslos unter.

Bayreuther Festspiele 2022

Lesen Sie hier die Kritiken der diesjährigen Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen.

ZWEI SORTEN VON BUHS

Doch in diesem kompakten Empörungssturm haben sich durchaus unterschiedliche Motive verbunden. Zwei Haltungen, die hinter den scheinbar einhelligen Buhs stecken, sollte man sorgfältig voneinander trennen. Da ist einmal die Unzufriedenheit mit dieser ganz spezifischen Leistung des jungen "Ring"-Regisseurs Valentin Schwarz. Und auf der anderen Seite die grundsätzliche, reaktionäre Ablehnung jeder wirklich starken szenischen Deutung. Die unreflektierte Wut auf das sogenannte Regietheater dürfte im nerdigen Bayreuther Publikum zwar nur die Position einer Minderheit sein, aber natürlich gibt es sie auch hier.

GEHT DOCH: APPLAUS FÜR KRATZER

Tobias Kratzer, Regisseur | Bildquelle: © Gregor Baron "Tannhäuser"-Regisseur Tobias Kratzer | Bildquelle: © Gregor Baron Dass das Festspiel-Publikum in seiner großen Mehrheit sehr wohl zum Mitdenken bereit ist, wenn die Regie neue, eigene Geschichten auf die Bühne bringt, beweist der begeisterte Applaus für Tobias Kratzer. In dessen Inszenierung des "Tannhäuser" kreuzt sich Wagners Textbuch mit einer streckenweise rasanten, zwischen übermütigem Humor und heftiger Depression schwankenden Bühnenhandlung. Wie bei gutem Kontrapunkt bewegen sich die beiden Geschichten von Wagner und Kratzer, vergleichbar mit zwei musikalischen Linien in einem mehrstimmigen Satz: mal parallel, mal in Gegenrichtung, mal harmonisch, mal bewusst dissonant. Also spannungsreich, aber nie beziehungslos. Und das bereitet dem Publikum ganz offenbar große Freude. Weil’s klug gedacht und gut gemacht ist.

DER UNTERGANG IST ABGESAGT

Es geht also. Umso bitterer, dass ein so großes und wichtiges Projekt wie der neue "Ring" szenisch floppt. Zumal die Vorbereitungszeit wegen Corona ungewöhnlich lang war. Natürlich wird in social media und in politisch rechtsgerichteten Blogs prompt der Untergang des Abendlandes beschworen. Man fordert den Rücktritt von Katharina Wagner, erklärt den "Mythos Bayreuth" für tot, erinnert sich weinerlich an die guten alten Zeiten (die sich bei näherem Hinsehen niemand zurückwünschen kann) und schwört feierlich jeder weiteren Reise ins Frankenland ab. Diese Stimmen sollte Katharina Wagner gelassen ignorieren. Szenisch ist die Bilanz der letzten Jahre trotz des vorläufig misslungenen Rings und eines nur halb überzeugenden "Holländers" im letzten Jahr insgesamt doch positiv: Der neue "Tristan" von Regisseur Roland Schwab, dirigiert von Markus Poschner, war zwar offenbar eher unspektakulär, aber stimmig im Zusammenspiel von Bühne und Musik. Und Kratzers "Tannhäuser" sowie die leider bereits abgesetzten "Meistersinger" von Barrie Kosky liegen ja auch noch positiv auf der Waagschale.

BESSER ODER BLOSS ANDERS?

Problematischer ist das allenfalls mittelprächtige sängerische Gesamtniveau – trotz einzelner herausragender Stimmen (um die wichtigsten zu nennen: Lise Davidsen, Camilla Nylund, Klaus Florian Vogt, Georg Zeppenfeld). Das reicht nicht. Bayreuth ist Ausnahme, nicht Regel. Festspiele sind etwas grundsätzlich Anderes als Repertoire und Routine. Das war Wagners Ausgangspunkt bei der Gründung – und das ist der Anspruch bis heute. Eigentlich müsste es in Bayreuth besser klingen als in München, Wien, London oder Mailand. Leider besteht die Ausnahme aber meist nur darin, dass Wagner dort anders ist. Schon das Haus mit seiner einzigartigen Akustik sorgt ja dafür. Gibt es wirklich keine stärkeren Dirigentinnen und Dirigenten, die sich an die Festspiele binden ließen? Natürlich verdient "Ring"-Dirigent Cornelius Meister Dank und höchsten Respekt fürs kurzfristige Einspringen. Aber Weltklasse war das eben nicht. Die liefert zuverlässig Christian Thielemann – mit dem sich Katharina Wagner ganz offenbar sehr weit auseinandergelebt hat. Ja, der Posten eines Musikdirektors mag entbehrlich sein in Bayreuth. Doch es wäre angesichts der übrigen, wenig strahlkräftigen Dirigenten-Namen ein großer Fehler, Thielemann vor die Tür zu setzen. 

EIN EHEMALIGER FAMILIENBETRIEB

Und da zeigt sich das eigentliche Problem der Festspiele: Es hakt immer noch im Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen. Das liegt sicherlich auch an der Geschichte der Festspiele, die ja ein Familienbetrieb waren. Allzu viel hängt nach wie vor an persönlichen Entscheidungen der Leiterin – das bindet Energien. Und so wird hinter den Kulissen viel gegrummelt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Chor, eigentlich eine der ganz großen Stärken der Festspiele, ist offenbar unglücklich. Natürlich ist jeder Chor wegen Corona ein Risiko-Faktor. Aber viele Sängerinnen und Sänger fühlen sich darauf reduziert – und ungeliebt. Dass er in diesem Jahr deutlich kleiner war und in der "Götterdämmerung" offenbar durch eine Panne keinen Vorhang bekam, hat zusätzlich für Unmut gesorgt. Immerhin: Nächstes Jahr soll er wieder die gewohnte Größe haben.

WEISST DU, WIE DAS WIRD?

Ob Bayreuth je in ruhiges Fahrwasser kommt? Im günstigsten Fall bleibt Katharina Wagner szenisch innovativ, hält Thielemann, holt sich zusätzlich Weltklasse-Dirigenten (Pablo Heras-Casado, der kommendes Jahr den "Parsifal" dirigiert, ist ein verheißungsvoller Name) und sorgt, vor allem, für durchgehende sängerische Exzellenz. Wenn sie dann auch noch stärker deligiert an ein Team, dem sie vertraut und das sie entlastet, steht einer strahlenden Zukunft nichts im Weg. Außer Kleinigkeiten wie den notwendigen Renovierungen und den üblichen Rangeleien zwischen den Geldgebern ...

Bayreuths neuer "Ring" auf BR-KLASSIK

Hier finden Sie die Premieren von "Tristan und Isolde" sowie vom "Rheingold", "Walküre" und "Siegfried" und "Götterdämmerung" zum Anhören. Die "Götterdämmerung" ist auch als Videostream verfügbar.

Sendung: "Leporello" am 9. August 2022 ab16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (8)

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Montag, 15.August, 22:08 Uhr

Rilana Hofmann

Neuinzenierung Ring

Mir die Inszenierung von Valentin Schwarz durchweg richtig gut gefallen. ..am besten fande ich dass er durch seine neuen Ideen massiv dafür sorgt dass man nach der Vorstellung in den Austausch geht und mit anderen zusammen darüber spricht. Es ist einfach mal was anderes und einfach spannend...mir war keine Sekunde langweilig dabei...Mit einem seiner Hauptgedanken ,dass die Kinder ....also die Nachkommen das mächtigste und wichtigste im Leben sind und man leider erlebte Traumata von Generation zu Generation weiter vererbt macht er er eine absolut wichtige geseschaftliche Problematik zum Mittelpunkt...
Und egal welche Inszenierung....die Musik und Sänger stehen auch immer noch für sich und kann keine Inszenierung wirklich kaputt machen...
Dennoch ist für mich Herrn Schwarz Inszenierung sehr gelungen und durchdacht für einen 33 jährigen Newcomer...Schade dass er von vielen Kritikern so schlecht geredet wurde .. .hingehen...ansehen und selbst entscheiden!

Freitag, 12.August, 22:59 Uhr

Gisela Rindle

Ihr Artikel

Ganz großen Dank für diese großartige Einschätzung!!

Freitag, 12.August, 12:06 Uhr

Wolfgang Peternell

Buhs und Gräben

Sehr geehrter Herr Neuhoff,
in vielem kann ich Ihnen zustimmen. Allerdings reißen Sie mit Ihrer (wohl prinzipiell zutreffenden) Analyse der Buh-Sorten Gräben auf. Ich erlaube mir, einige Adjektive aus dem Zusammenhang zu reißen: Da wird ein Teil des Publikums als "nerdig", "unreflektiert","reaktionär","weinerlich" bezeichnet, während der andere Teil "zum Mitdenken bereit ist". Und dann wird noch von einem "politisch rechtsgerichteten" Blog geraunt, in dem sich die Meinungen dieses Teils des Publikums artikulieren - ich glaube zu wissen was Sie meinen könnten. Ich empfinde diese Form der Polemik - die natürlich vollkommen legitim ist - als Publikumsbeschimpfung der unangenehmen Sorte.
Wolfgang Peternell, Köln

Freitag, 12.August, 11:20 Uhr

Eggert

Gut analysiert…

…sehr gut auf den Punkt gebracht! Wären nicht so viele „handwerkliche“ Fehler gemacht worden und hätte die Dramaturgie /Regie sich durchgängig an ihr Konzept gehalten ….. hätte es ein gelungener Ring werden können… die Idee ist gut und ausbaufähig.
….jedoch, wo bekommt man eine gute Brünnhilde her?…

Freitag, 12.August, 09:30 Uhr

Peter Sczechowski

Weltklasse!?

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich bin in Teilen Ihrer Meinung, kann aber Einiges nicht nachvollziehen. Dass intelligentes, intellektuelles und inspiriertes Regietheater funktioniert, zeigt grandios der "Tannhäuser", in Teilen auch der "Holländer". Schade, dass Sie bei den herausragenden SängerInnen Elisabeth Teige nicht erwähnt haben, die eine musikalisch und darstellerisch grandiose Senta gegeben hat. Ihre Kritik an den dirigentischen Leistungen finde ich zu einseitig. Natürlich steht Thielemann über alles und jeden. Aber Thielemann ist auch der einzige lebende Dirigent, der den Kanon der zehn Wagneropern in Bayreuth geleitet hat. Niemand verfügt über so große Erfahrung wie er. Andere "Weltklassedirigenten" würden auch mehrere Jahre in Bayreuth brauchen, bis sie so weit wären wie Thielemann (wenn sie es überhaupt erreichen würden).

Donnerstag, 11.August, 22:15 Uhr

Siegfried Metzger

Waren das noch Zeiten.....

"Also beim Wolfgang Wagner hätt's das nicht gegeben....!" (frei nach dem Theaterrequisiteur "Josef Bieder" alias Otto Schenk in einer seiner Sternstunden)

Donnerstag, 11.August, 19:16 Uhr

Klaus Mueller

Opern-Regietheater, hier Wagner in Bayreuth.

Der Autor ist offensichtlich Verehrer des "Regietheaters".
Das Publikum nicht.
Und eigentlich ist doch alles schon gesagt über solch Schwachfug, vor allem und schon vor Jahrzehnten von Eckhard Henscheid.
Dass es den Quatsch trotzdem immer noch und immer wieder gibt, verschlägt einem die Sprache.
Eine neue Generation von Regie-Deppen?

Donnerstag, 11.August, 15:45 Uhr

Wilfried Jauer

Endlich Schluß!

Gott sei Dank ist nun endlich mit der "Hofberichterstattung"!!! Daß jeden Tag nur noch Salzburg und Bayreuth im Programm ist, ärgert mich schon sehr. Denn wer kann denn da schon hingehen ... sicherlich kein Prozent der BR-Klassik-Hörer! Sie sollten mehr über Festivals berichten, zu denen Otto Normalverbraucher auch hingehen kann, als diese alljährliche, nervende Berichterstattung zu veranstalten!

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