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Jahresrückblick 2023 Bayreuther Festspiele - Rund lief's nicht

AR-Brillen, Restkarten und ein Besetzungskarussell, das sich mit Höchstgeschwindigkeit drehte: Auf dem Grünen Hügel gab es dieses Jahr eine große Einspringersause unter den Sängerinnen und Sängern.

Winter am Bayreuther Festspielhaus. | Bildquelle: Uwe Fößel

Bildquelle: Uwe Fößel

Die Bayreuther Festspiele 2023 sind vor allem eine große Einspringersause. Am Prominentesten: Erst exakt zur Festspielpremiere "Parsifal" düst die Mezzosopranistin Elina Garanca als Kundry an. Es ist ihr Bayreuth-Debüt. Wagemutig bzw. wagnermutig schmeißt sie sich ohne Proben ins Ungewisse - und gewinnt. Trotzdem kann man nicht sagen, dass es wirklich rund lief auf dem Grünen Hügel: Bestes Beispiel dafür ist der verkorkste "Ring" von Regisseur Valentin Schwarz, der bereits 2022 neu heraus kam. Der Österreicher hat zwar ganz wagnerhörig und damit gemäß der Idee von der "Werkstatt Bayreuth" an seinem "Ring" weiter gefummelt, verliert sich aber nach wie vor in einer eklektizistischen Bildershow, statt endlich ordentlich das Libretto zu studieren. Entsprechend ist genau dieser "Ring" der Ladenhüter im Bayreuth-Sommer 2023.

Ladenhüter-Siegfried

Szene aus "Siegfried", Bayreuther Festspiele 2023 | Bildquelle: Enrico Nawrath Szene aus dem "Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen 2023. | Bildquelle: Enrico Nawrath Restkarten gab es sogar noch, als die Fanfare vom Balkon tönte. Anders gesagt: Wer ein bisschen Siegfried-Mut mitbrachte und sich von der Regie nicht abschrecken ließ, kam sogar spontan noch hinein, ins legendäre Festspielhaus. Das gab´s noch nie! Und damit hatte Bayreuth ein Debüt, das nachdenklich stimmt: Hat der alte Wagner uns wirklich nichts mehr zu sagen mit seinem inzestuösen und intriganten Ringgedöns, oder bedarf der ganze Laden einfach nur einer Generalüberholung? Da müsste dann sicher auch auf den Prüfstand, ob es sich in diesen Zeiten noch halten lässt, Sängerinnen und Sänger knapp zwei Monate exklusiv ins Fränkische zu verbannen, damit sie sich voll auf Wagner eingrooven. Die norwegische Sopranistin Elisabeth Teige hat sich drauf eingelassen, mit singendem Ehemann, Sohn und Großeltern rückte sie an. Und ließ sich am Ende in gleich drei Rollen feiern:  Als Senta in "Der fliegende Holländer", als Elisabeth im "Tannhäuser" und zudem noch als Einspringerin Sieglinde in der "Walküre".

Andreas Schager im Dauereinsatz

Einen Extra-Batzen Rheingold hat im Sommer 2023 definitiv der Tenor Andreas Schager verdient, für seinen heldenhaften Dauereinsatz. Der Mann scheint unverwüstlich. Als Siegfried weiß er sowieso, wo der Hammer hängt – auch wenn er mit seinem Schager-spezial-Schmelz nicht jeden Geschmack bedient. Dafür hat Schager als Titelheld in "Parsifal" andere Töne angeschlagen: samtweich, sensibel und lyrisch. Gerne mehr davon! Klar kennt der Erfahrene die Partie, aber zwei Wochen vor der Premiere bei einer Neuproduktion einzuspringen, verlangt auch vom Strahlemann Schager mehr als den Notentext in- und auswändig zu kennen.

Elina Garanca beim Drive-Through

Elīna Garanča | Bildquelle: Christoph Köstlin Ohne Proben, ganz nach oben: Elina Garanca überzeugt mit ihrem Bayreuth-Debüt auf ganzer Linie – obwohl sie kurzfristig einsprang. | Bildquelle: Christoph Köstlin Überhaupt ist 2023 der Sommer der Einspringer. Oder anders formuliert der Sommer der Absagen: Joseph Calleja, John Lundgren, Dmitry Belosselskiy und der schwerkranke Tenor Stephen Gould, der traurigerweise mit nur 61 Jahren im September 2023 verstorben ist. Betroffen von den Absagen war auch die Festspielpremiere "Parsifal". Die Russin Ekaterina Semenchuk wollte aus privaten Gründen nicht dabei sein. Als neue Kundry wurden gleich zwei Mezzosopranistinnen eingekauft: Ekaterina Gubanowa und Elina Garanca für die Premiere. Die Lettin debütierte damit in der als komplex verschrienen Festspielhausakustik komplett ohne Proben und wurde gefeiert. Also, wofür eigentlich monatelang bei "Blauen Zipfeln" am Grünen Hügel abhängen, wenn man sogar eine Parsifal-Party im "Drive through"-Modus stemmen kann?

AR-Brillen ohne Horizonterweiterung

Mehr als nur zwei Monate Einarbeitung hätte es jedoch für die AR-Brillen in Jay Scheibs "Parsifal" gebraucht. Die neuen Dinger, die bei fünf Stunden Oper auf dem Nasenbein gerne mal heiß laufen, mutieren zum Stein des Anstoßes. Nur rund 350 Exemplare hängen in schwarzen Beutelchen verstaut am legendären Holzgestühl der obersten Reihen im Festspielhaus. Sie kosten extra, logisch, und doch hätten gerne mehr Besucherinnen und Besucher so einen coolen "Man-in-Black"-Look gehabt. Da jedoch sowieso mindestens die Hälfte der Parsifal-Brillenträger die Gläser immer wieder abgesetzt hat, glich die Klage der Brillenlosen am Ende eher viel Lärm um nichts. Denn was gab es zu sehen: animierte Felsbrocken, Pfeile, Schwanenblutstropfen, schwebende Autobatterien, einen streunenden Fuchs. Graphisch erinnerte das Bildergeballer mehr an Atari-Animationen aus den späten 1980er Jahren. Heißt: So richtig geflasht haben einen die Effekte nicht. Aber ein Anfang für faszinierende neue Erlebniswelten ist auf jeden Fall gemacht worden, vergleichbar mit dem gewagten Einsatz von glühendem Kalkstein als Bühnenbeleuchtung rund um das Jahr 1825. Also, davon gerne mehr.

Bayreuth-Debüt für Nathalie Stutzman

Wo wir schon beim Mehr und beim Neuen sind: Nathalie Stutzmann hat zum ersten Mal "Tannhäuser" in Bayreuth dirigiert. Dass Katharina Wagner nun schon die zweite Frau in die schier unendlichen Tiefen des Orchestergrabens gelockt hat - und dazu noch eine, die als Sängerin die heikle Akustik recht gut einschätzen kann, hat sich musikalisch voll ausgezahlt. Ob allerdings mehr von Richard Wagners stets gewünschten "Neuen Welten" zukünftig aus der Hand einer waschechten Wagnerianerin kommen wird, ist noch nicht geklärt.

Die Zukunft Katharina Wagners ist noch ungewiss

Katharina Wagner. | Bildquelle: BR/Deutschen Filmförderfonds/Filmfernsehfonds Bayern/Filmförderungsanstalt/Filmwelt Verleihagentur/MDR/Naxos Music Group/Ralf Richter/Roland Wagner Katharina Wagners Festspielleiterin-Vertrag läuft nur noch bis 2025. | Bildquelle: BR/Deutschen Filmförderfonds/Filmfernsehfonds Bayern/Filmförderungsanstalt/Filmwelt Verleihagentur/MDR/Naxos Music Group/Ralf Richter/Roland Wagner Dass Katharina Wagners Festspielleiterin-Vertrag nur noch bis 2025 läuft und auch bislang nicht verlängert wurde, sorgte diesen Sommer für Spekulationen und war Anlass, die verkrusteten, konservativen Bayreuther Strukturen erneut zu entwirren. Denn hier zeigt sich: Freias Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wotans Mischpoke im "Ring" verkörpert sowas wie den Gipfel an verbissenen Führungsstrukturen. Und das aus Vorständen, Vereinen und Geschäftsführern bestehende "Leitungsteam" der Festspiele kann da mit seinem "Ringelreien" erschreckend gut mithalten. Zu hoffen bleibt, dass der packende emotionale Kult um die Festspiele nicht einer solch nebulösen Traditionspflege geopfert wird. Sondern dass alle Beteiligten mal ein paar von Freias Äpfel der Jugend verschlingen mögen.

Sendung: "Allegro" am 20. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Samstag, 23.Dezember, 17:21 Uhr

Walter Lange

Wie sagte die langjährige Leiterin der Bayreuther Festspiele, Winifred Wagner,: "So beschissen wie dieses Jahr ist es noch nie gewesen." Gemeint waren die neuen antisemitischen Tendenzen in Bayreuth, nach der Politikwende durch die voelkischen Ideologen.

Mittwoch, 20.Dezember, 14:32 Uhr

Barboncino

Bayreuth

Wie aussagekräftig doch das obige Bild ist. Weiße winterliche Kälte hat den einst so günen Hügel okkupiert. Seelenlose, musikzerstörerische Inszenierungen haben den Musentempel erobert.Selbst Heroen wie C.T. haben kaum mehr eine Chance, dem Abgesang auf die einst so gefeierten und gefragten Festspiele Paroli zu bieten. Die Agonie der Schönheit geht weiter.

Mittwoch, 20.Dezember, 12:13 Uhr

Susanna Bazing

Regietheater ....,ja das führt dazu, dass die Leute liber nur die Musik hören , diese Inszenierungen sind unerträglich geworden, leider.

Mittwoch, 20.Dezember, 11:06 Uhr

eckhard ullrich

Bayreuth

Eine sehr fundierte Analyse der letzten Saison.
Besonders dieser Ring ist so unsäglich misslungen ,dass es nur peinlich ist für Bayreuth. Eben ,wer will den sehen ? So ziemlich die misslungenste Produktion ever.ich Frage mich ja ,wie so eine eklantante Regie Fehlbesetzung zu stande kommen kann...
Unwürdig für die Festspiele
Mfg Eckhard Ullrich

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