BR-KLASSIK

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DEUTSCHER RADIOPREIS 2022 Unerwartete Auszeichnung für den Jazz

Sie hatten es nicht zu hoffen gewagt - doch dann gewann das Jazz-Team Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer den bedeutendsten Hörfunk-Preis Deutschlands. Hier schildern die drei, wie es zur prämiierten Sendung kam - und wie sie den Erfolg erlebt haben.

Das Video zur Preisverleiung

"Tschüss!", sagt Sportler und Laudator Mathias Mester an der Stelle, an der er eigentlich ein Name, ein Sender, eine Erlösung hätte kommen sollen. Was für ein Timing für eine Pointe - Timing, eine Grundtugend des Jazz! Vielleicht schütteln einige darüber den Kopf, andere lachen, aber dieser Einsatz war ebenso unerwartet, wie das, was danach kam: BR-KLASSIK!

Der erste Radiopreis für BR-KLASSIK in den 13 Jahren, die dieser Preis vergeben wird, geht an "Jazztime: Hören wir Gutes und reden darüber", es ist auch das erste Mal, dass eine reine Jazzsendung den Radiopreis gewinnen konnte. Ein Moment der Fassungslosigkeit und der puren Freude! Es hatte etwas Entrückt-Traumartiges, das als Nominierte mitzuerleben: Zwei von uns saßen - für den möglichen TV-Auftritt geschminkt in einem Extra-Bereich nahe der Bühne, der dritte mitten im Live-Publikum, an Tisch 93, bei Kollegen anderer ARD-Sender. Als der Moment kam, wurde uns allen auf sehr individuelle Weise schwindlig, und als der Laudator plötzlich wirklich den Namen "BR-KLASSIK" fallen ließ, brauchten wir einige Schrecksekunden, um es zu begreifen.

Der Jazz im Rampenlicht

Ulrich Habersetzer, Roland Spiegel und Beate Sampson mit dem Deutschen Radiopreis für die "Beste Sendung" | Bildquelle: BR/Ulrich Habersetzer Der Schuppen 52 ungefähr bei Tisch 93. | Bildquelle: BR/Ulrich Habersetzer Unser voll spontaner und besonders subjektiver Momente steckendes Musiktalk-Format wurde als "Beste Sendung" ausgezeichnet und hatte wirklich eine Konkurrenz geschlagen, die uns fast einschüchternd erschien in ihrer wachen Reaktion auf aktuelle Phänomene. Am 08. September 2022 wurde diese bedeutendste Hörfunk-Auszeichnung in Hamburg in neun Kategorien verliehen im Rahmen einer Hochglanz-Gala. So etwas sind Menschen, die sich mit Jazz beschäftigen, nicht unbedingt gewöhnt: sehr viel Glamour, sehr viel Blitzlicht, sehr effektvolle Musik. Im Jazz ist das häufig anders: da steckt der faszinierende Glanz direkt in den Tönen und nicht im Drumherum.

Begründung der Jury:

"Eine Sendung wie eine Insel. Draußen herrscht hoher Seegang, aber was im Hier und Jetzt zählt, das sind handverlesene Töne, die in die Ohren des Publikums tropfen oder wie Sand über Zehen rinnen - genau das schafft dieses exzellente Radio-Format mit dem programmatischen Titel "Hören wir Gutes und reden darüber!" von BR-KLASSIK.

Statt der täglichen Krisen, der Informations-Druckbetankung, des Stresses und der Überforderung wird hier eine außergewöhnliche Ruhe vermittelt, erhalten hier andere Inhalte Raum zur Entfaltung: Denn hier spielt im wahrsten Sinne des Wortes die Musik. Und: Hier sprechen Menschen über Musik. Und das so fachkundig, so klug, so einladend, dass man wünscht, es würde nie mehr aufhören. Dabei kommt diese Sendung ganz ohne die heutzutage so oft eingesetzte gezielte Aufregung aus, ohne jeglichen Krawall, ohne künstlich laut zu sein. Stattdessen besticht sie durch Tiefgang, durch Zeit, durch respektvoll-intelligenten Austausch auf Augenhöhe und: einer ganz eigenen Wärme.

Es ist ein Angebot zum Auftanken, ein Ruhepol und: eine Zelebration eines zentralen Bestandteils, ohne den Radio schlicht undenkbar wäre: Musik mitsamt brillantem Musikjournalismus. Die Grimme-Jury hat sie zu gerne angenommen, diese auditive Hängematte und empfiehlt: reinlegen, zuhören, mitschwingen, Balance und Kraft tanken. Und dann: aktiv werden in der Welt da draußen."

Wie alles begann und was "Blindfold"-Tests damit zu tun haben

Ulrich Habersetzer, Roland Spiegel und Beate Sampson mit dem Deutschen Radiopreis für die "Beste Sendung" | Bildquelle: BR/Ulrich Habersetzer Bildquelle: BR/Ulrich Habersetzer Die Sendung "Hören wir Gutes und reden darüber" entstand, wie so Manches, aus einer Not heraus. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie wollten wir Musiker:innen unterstützen, die ihre Auftrittsmöglichkeiten verloren hatten. Eine Möglichkeit: mehr Aufmerksamkeit auf die Aufnahmen zu lenken, die freischaffende Musiker:innen während dieser Zeit oder kurz vorher veröffentlicht hatten. Nicht als Kurzbeitrag wollten wir das tun, weil wir fanden, die besondere Situation brauche eine besondere Form. Die Idee war, am Mikrophon das zu tun, was wir bei redaktionellen Treffen oder Telefongesprächen sowieso immer tun: uns auszutauschen über neue Aufnahmen, die wir gehört hatten. Nach dem Prinzip: Kennst Du dies, hast Du jenes schon gehört, was hältst Du von XYZ?

Die in Jazz-Publikationen besonders traditionsreiche Form des "Blindfold"-Tests gab uns einen weiteren Impuls. Blindfold-Tests funktionieren so: Man spielt jemandem eine Aufnahme vor, ohne zu benennen, wer da spielt und was gespielt wird; die befragte Person muss sich dann einordnend und wertend äußern. Dabei ist die Frage, wie viel jemand errät oder erkennt, weniger interessant als der frische, unbefangene Eindruck, der möglichst spontan formuliert wird. Genau das übernahmen wir für unsere Sendung. Jede(r) bringt Aufnahmen mit, von denen die anderen nichts wissen, und die anderen reagieren spontan darauf: mit Erstaunen, mit Erkennen, mit Aha-Effekten oder auch mit Ratlosigkeit. Die Hörer:innen sind derweil in genau derselben Situation und können sich freuen, wenn sie, was durchaus vorkommt, eine Aufnahme oder deren Urheber:in schneller erkennen als die Spezialist:innen am Mikrophon.

Sendungstipp - Hören wir Gutes Vol. 12

11. Oktober, 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Das unerschöpfliche Überraschungspotenzial im Jazz

Cover: Deutscher Radiopreis - Hören wir Gutes und reden darüber  | Bildquelle: BR/ Nadja Pfeiffer Bildquelle: BR/ Nadja Pfeiffer Schnell stellte sich heraus: Wir hatten einen unglaublichen Spaß bei der Produktion der jeweiligen Ausgaben, der sich auch immer auf unsere Kolleg*innen in der Technik übertrug. Sehr häufig brachte jede(r) völlig unterschiedliche Musik mit, sodass jede Sendung auch für uns zur Entdeckungsreise wurde. Die ursprünglich afroamerikanische Errungenschaft Jazz bietet ein schier unerschöpfliches Überraschungs-Potenzial - als ungemein vielfältige Musik, von der man auch fürs Leben lernen kann, mit allen Farben der Welt.
Jazz kann nach lateinamerikanischer Folkmusik klingen, nach klassischer Klaviermusik, nach Funk und Soul, nach Singer-Songwriter-Stil - und nach allem zusammen. Und er kann einem noch heute so prachtvoll-sinnliche Bläserklänge um die Ohren hauen wie schon zu den Glanzzeiten Louis Armstrongs in den 1920er Jahren. Er hat eine ungemein große Formenvielfalt, was auch daran liegt, dass Jazz als eine im Wesentlichen improvisierte Musik in weiten Teilen ad hoc entsteht. Jazz ist Lust am Reagieren auf die Welt, Lust am Klang, Lust an Kommunikation.

Genau diese Eigenschaften übertrugen sich auch auf unsere - ebenfalls improvisierten - Gespräche: Jede Produktion von "Hören wir Gutes und reden darüber" war bisher eine Feier der Lust an Musik, Lust am Zuhören und Lust am In-Sprache-Fassen, was Musik auslöst und was sie bedeuten kann. Als unakademisches Trio von freudvoll Musiksüchtigen, die - wenn möglich - andere mit ihrer Lust am Hören anstecken, begegnen wir uns zu jeder neuen Ausgabe der Sendung. Ganz Ohr und ganz im Moment. Mit allen Vor- und Nachteilen: Denn natürlich kann man beim Raten und auch beim Beurteilen auch mal falsch liegen - aber wir sind ja schließlich keine Maschinen.

5 Fakten zu 'Hören wir Gutes'

Wer moderiert 'Hören wir Gutes'?
Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer

Seit wann gibt es die Sendung?
Die erste Ausstrahlung erfolgte am 8. Dezember 2020

Wo und wann kann man 'Hören wir Gutes' erleben?
Im Radio einmal alle zwei Monate um 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK, ab 2023 regelmäßig jeden 2. Dienstag im Monat

Wie kann ich mich mit meiner Musik bewerben?
Gerne mit einer Mail an br-klassik@br.de

Wie viele Alben hören unsere Moderator:innen für eine Sendung im Schnitt an?
Ulrich Habersetzer zB hört im Monat ca. 5 bis 20 neue Jazzalben. "Hören wir Gutes" läuft 2021 alle zwei Monate. Bis zu 40 Alben kommen dafür dann in die Auswahl.

Die erste Zuhörer:in sitzt schon im Studio

Wir möchten an dieser Stelle herzlich unseren allerersten Zuhörer:innen danken: allen Technik-Kolleg:innen, die in den bisher zehn "Hören wir Gutes"-Ausgaben sozusagen den Sound unseres Trios bei der Produktion der preisgekrönten Sendung gemacht haben. In der Jury-Begründung wird die besondere Intimität der Sendung hervorgehoben, die Nähe, die sich innerhalb kurzer Zeit herstellt, so dass Hörer:innen sich so fühlen können, als säßen sie mit im Studio. Solch eine Nähe - oder den Eindruck solch einer Nähe - herzustellen, ist nur dann möglich, wenn die Kolleg:innen an den Reglern im Tonbearbeitungsraum die entsprechende Atmosphäre dafür schafften. Bei Gesprächen ist es wie beim Jazz: Die Improvisationen gelingen am besten, wenn die Stimmung dafür am günstigsten ist.

Dass wir mit "Hören wir Gutes und reden darüber" den Deutschen Radiopreis in der begehrten Kategorie "Beste Sendung" gewonnen haben, bestärkt uns in der Grundannahme, dass Jazz, dieser Kosmos der musikalischen Stile, Epochen und Persönlichkeiten, gar nicht in eine Nische gequetscht werden muss. Dieser Preis sagt uns: möglicherweise gibt es viel mehr Menschen, die neugierig auf Jazz sind, als wir dachten. Wir werden mit Freuden daran weiterarbeiten, dieser Neugier immer wieder neuen Stoff zu geben und sie auch bei denen zu wecken, die bisher noch nichts mit Jazz am Hut haben. 

Die ausgezeichnete Sendung:

"Hören wir Gutes und reden darüber" Vol. 7 am 07. Dezember 2021
Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer sprechen über Musik von Bill Carrothers und Vincent Courtois, dem Ayumi Tanaka Trio, dem Duo von Alexandra Lehmler & Matthias Debus sowie von Frank Kimbrough.
Technik: Hildegard Yilmaz
Produktionsassistenz: Rita Mbeba

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