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Farewell Emerson String Quartet "47 Jahre sind genau richtig"

Nein, goldene Hochzeit wollen sie nicht miteinander feiern: Nach 47 Jahren hört das Emerson String Quartet auf. Im BR-KLASSIK-Interview erzählt Geiger Eugene Drucker von getrennten Hotelzimmern, der Zusammenarbeit mit Barbara Hannigan und vom allerletzten Konzert in New York.

Das Emerson Streichquartett | Bildquelle: © Lisa Mazzucco

Bildquelle: © Lisa Mazzucco

BR-KLASSIK: Ein Quartett wird ja gerne auch als Ehe zu Viert umschrieben – bei Ihnen endet diese Beziehung allerdings kurz vor der Goldenen Hochzeit. Sind nicht noch drei Jahre drin?

Eugene Drucker: Ja, sowas wie die Goldene Hochzeit gibt es auch bei uns in den Staaten, aber für uns sind die 47 Jahre genau richtig. Wir wollen die Bühne auch als Ensemble verlassen, nicht als vier einzeln für sich spielende Musiker. Und in einer Phase, in der wir noch unser Bestes geben können. Das Publikum soll uns so in Erinnerung behalten, uns vermissen – nein, also unsere Entscheidung ist sicher nicht verhandelbar, so kurz vor dem Ende. Wir wollen hier auch nicht eine Abschiedstour vortäuschen, um dann ein Comeback zu feiern.

47 Jahre Ehe – und kein Streit?

BR-KLASSIK: Naja, Versuch war’s wert. In 47 Jahren gibt’s sicher, wie in jeder Beziehung, immer mal Streit. Wie sind Sie damit umgegangen, gab’s grobe Ausrutscher?

Eugene Drucker: Wir hatten immer wieder unterschiedliche Meinungen zu den Tempi – und einer hatte uns auch immer klar zu verstehen gegeben, dass er von unserem Spiel gelangweilt ist. Ein anderes Reizthema waren Übungsmethoden, um die richtige Intonation zu finden. Generell mussten wir immer wieder neu lernen, uns gegenseitig möglichst konstruktiv zu kritisieren und nicht zu sehr in die Defensive zu rutschen, wenn wir selbst kritisiert wurden.

BR-KLASSIK: Aber wie macht man das?

Eugene Drucker: Letztlich war es immer eine gute Portion Humor, die uns geholfen hat, eine Gruppe zu bleiben. Alle von uns können über sich selbst lachen, manchmal lachen wir alle vier über uns gemeinsam. Auf Tour kommt das oft vor

Ein Geheimnis unseres Bestehens war auch die Abgrenzung voneinander vor dem Konzert.
Eugene Drucker

BR-KLASSIK: Inwiefern?

Eugene Drucker vom Emerson String Quartet (2015)  | Bildquelle: picture alliance / AP Photo | Dan Balilty Eugene Drucker 2015 | Bildquelle: picture alliance / AP Photo | Dan Balilty Eugene Drucker: Im Hotel versuchen wir immer, Zimmer zu bekommen, die möglichst weit auseinander liegen. Meistens ist es nämlich so, dass die Hotels glauben: ah, ein Quartett, die gehören zusammen. Aber ein Geheimnis unseres Bestehens war sicher auch, dass wir herausgefunden haben: wir brauchen die Abgrenzung ein paar Stunden vor dem Konzert. Der eine will noch kurz dösen, der andere üben. Und manchmal ergibt sich aus unserem Sonder-Zimmer-Wunsch auch was Lustiges: Stolz verkünden uns die Hotels dann, dass sie uns alle auf verschiedenen Stockwerken untergebracht haben. Aber dann sind die Zimmer alle übereinander. Ud wir hören uns auch wieder, als wären wir nebeneinander…da kann man doch nur drüber lachen.  

BR-KLASSIK: Stichwort Humor: Können Sie eine skurrile oder lustige Anekdote aus ihren 47 Bühnenjahren rauspicken?

Eugene Drucker: Da gibt es sicher auch viele andere. Aber an ein Konzert, ziemlich am Anfang unserer Karriere, kann ich mich noch gut erinnern. Wir spielten in einer Highschool in West-Virginia. Und die Klimaanlage rasselte ununterbrochen und störte extrem. Also rief die Schulleitung den Hausmeister an, um das zu richten. Aber er kam nicht rechtzeitig, und dann haben wir halt angefangen. Irgendwann am Ende des Konzerts, ich weiß noch genau, es war der langsame Satz im Debussy-Quartett, kam er dann, marschierte völlig gedankenverloren hinter uns quer über die Bühne und machte einen schrecklichen Lärm mit einem massiven Schlüsselbund, der am Gürtel baumelte. Er hat das Problem mit der Anlage danach zwar schnell gelöst, aber die besondere Stimmung dieses langsamen Satzes war natürlich auch dahin.

Barbara Hannigan - mit "flammender Passion"

BR-KLASSIK: Reden wir über die aktuelle, letzte CD, die grade erschienen ist. "Infinite Voyage", also "Unendliche Reise“ heißt sie – wie sind Sie denn auf das Programm gekommen, das sind ja alles Werke des 20. Jahrhunderts?

Eugene Drucker: Das Programm entstand aus unserem Projekt mit Barbara Hannigan beim Musikfest Berlin vor ein paar Jahren. Und wir waren alle sofort begeistert von dieser unglaublichen Sängerin, die ich kurz vorher auch in George Benjamins Oper "Written on Skin" gehört hatte. Sie besitzt eine fulminante Technik und stürzt sich immer mit einer flammenden Passion in die Werke, das ist überwältigend.

Und die künstlerische Chemie zwischen uns hat einfach gut gepasst von Anfang an. Damals in Berlin haben wir u.a. das Quartett von Arnold Schönberg mit Sopranstimme gespielt. Also ging es für die Platte vor allem auch darum, mit welchen Werken wir das kombinieren könnten. Da lag natürlich Alban Berg nahe, als weiterer Vertreter der Zweiten Wiener Schule. Und Barbara machte uns dann auf das Stück von Hindemith aufmerksam: Melancholie, ein großartiges Werk, das wir enthusiastisch neu kennengelernt haben.

Unerfüllte Sehnsucht Thema des aktuellen Albums

Ich denke, was alle Stücke der CD verbindet, ist eine gewisse Sehnsucht, und zwar die unerfüllte. Bei Schönberg sehnt sich die Stimme nach Erlösung vom Verlangen, möchte befreit werden, möchte woanders hin. Es gibt ja diese wunderbare Zeile in dem zugrundeliegenden Gedicht von Stefan George: "Ich fühle luft von anderem planeten". Im Werk von Chausson geht es um eine Frau, die von ihrem Liebhaber zurückgestoßen wird, was letztlich im Selbstmord endet. Und Hindemith wiederum verarbeitet in seiner "Melancholie" den Tod eines Freundes, der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Musikalisch wandert Hindemith übrigens quer durch die Stile, da ist französischer Impressionismus genauso drin wie Jazz-Elemente, großartig geschrieben, ein wunderbarer Eklektizismus über die 4 Sätze hinweg.

Musik für die "Einsame Insel": Bach, Brahms, Bartók

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The Emerson String Quartet: 4th mvt of Beethoven Opus 130 (Alla danza tedesca) | Bildquelle: WQXR (via YouTube)

The Emerson String Quartet: 4th mvt of Beethoven Opus 130 (Alla danza tedesca)

BR-KLASSIK: Apropos "Unendliche Reise" – wäre diese Musik auch was für Ihre ganz persönliche Reise bzw. die berühmte Einsame Insel?

Eugene Drucker: Ach, unser Repertoire war so groß, da fallen mir viele Aufnahmen ein, die für so eine Reise taugen würden: Die Bartók-Quartette, unser Schostakowitsch-Zyklus, einige der Beethoven-Quartette oder Bachs Kunst der Fuge… und auf die Insel müsste unbedingt eine CD mit Goethe-Liedern mit Dawn Upshaw mit, nebst einigen Brahms-Sinfonien, allerdings in unterschiedlichen Einspielungen. Im Auto habe ich übrigens oft Mahlers Sechste Sinfonie gehört, mit den Berlinern unter Karajan – die ersten beiden Sätze waren ein gutes Mittel, um wach zu bleiben (schmunzelt)

Beethoven und Schubert: Große Emotionen fürs letzte Konzert

BR-KLASSIK: Beim allerletzten Konzert in New York spielen Sie allerdings Beethovens op. 130 und Schuberts Quintett, zwei emotional sehr aufgeladene Stücke, was für Sie auf der Bühne sicher tough wird oder?

Eugene Drucker: Diese Musik zu spielen wird vermutlich schwierig, aber schon Beethoven selbst sagte ja über die Cavatina aus seinem Quartett, sie würde ihn zu Tränen rühren, wann immer er sie innerlich höre. Und generell hat das Werk natürlich eine unglaubliche emotionale Wirkung auf uns als Ensemble. Genauso wie das Schubert-Quintett, das zum Größten überhaupt in der gesamten Kammermusik gehört. Und ich kenne viele Musikerinnen und Musiker, die sich den langsamen Satz aus dem Quintett für ihre eigene Beerdigung wünschen. Also die beiden Werke sind extrem wichtig für uns, und es lag nahe, für das Quintett David Finckel einzuladen, der ja lange Cellist bei uns im Quartett war. Es ist eine wirklich tiefgreifende emotionale Erfahrung, die wir miteinander, aber auch mit unserem Publikum teilen wollen.

Sendung: Allegro am 19. Oktober 2023 ab 06:05 Uhr

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