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Simon Rattle über Mahlers 6. Symphonie Hammer!

Nach Haydn ist jetzt Mahler dran: Simon Rattle, der neue Chef des BR-Symphonieorchesters, dirigiert diese Woche dessen 6. Symphonie. Und er weiß worauf es ankommt. Warum Kendrick Lamar seiner Meinung nach der ideale Mahler-Interpret wäre, erfahren Sie im Interview.

Simon Rattle bei seinem Antrittskonzert beim BRSO | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Sir Simon, Mahlers Sechste ist vielleicht das düsterste Werk, das er geschrieben hat. Das signalisiert schon der Beiname "Tragische". Und das Finale hat fast etwas Zerstörerisches.

Simon Rattle: Aber seltsamerweise ist es auch eine sehr klassische Symphonie. Klar, sie ist extrem, aber über weite Strecken auch viel weniger wild als anderes von ihm – obwohl sie natürlich schon eine (zögert lang) zerschmetternde Botschaft vermittelt. Aber es ist wie bei vielen großen Werken: Es gibt immer mehrere Wege, sie zu lesen. Ich dirigiere die Sechste jetzt schon seit 40 Jahren und habe mit der Zeit gemerkt, dass sie auch Hoffnung in sich trägt.

Eine Sinfonie wie das Leben

BR-KLASSIK: Wirklich?

Simon Rattle: Ja! Was sie so zerstörerisch macht, ist nur die Tatsache, dass der Optimismus scheitert. Es endet fast in A-Dur, aber eben nur fast. Und sicher, wenn man alte Aufnahmen hört, dann bekommt man fast das Gefühl, man würde den Film "Das Schweigen der Lämmer" anschauen – da ist überhaupt keine Hoffnung da, von Takt eins an. Aber ich finde, Mahler präsentiert hier eigentlich das ganze Paket eines kolossalen Lebens. Und dazu gehören auch Liebe und Optimismus.

BR-KLASSIK: In der Sechsten verarbeitet Mahler auch seine Beziehung zu Alma – als Hörer fühlt man sich fast wie ein Voyeur. Da gibt es etwa das zweite Thema im ersten Satz, zu dem Mahler ja schreibt, es sei ihr Portrait.

Simon Rattle: Das ist wie bei den Schumanns, wo oft Clara in Roberts Handschrift steckt – wobei man Clara auch bei Brahms findet, aber das ist eine andere Geschichte (lacht)

Simon Rattle dirigiert die "Schöpfung"

Seine Ära als Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat Sir Simon Rattle mit Joseph Haydns "Schöpfung" begonnen. Hier geht's zum Video des Konzerts, das am Sonntag in der Basilika in Ottobeuren stattfand.

Gustav und Alma: Biografische Bezüge

BR-KLASSIK: Wieviel Zeit stecken Sie in die Recherche solcher biografischen Bezüge? Ist das für Ihre Interpretation überhaupt wichtig?

Simon Rattle: Mahler (wartet lange) wäre das egal. Es gibt doch diese berühmte Szene zwischen Mahler und Sibelius, als sich die Crème de la Crème des damaligen Musiklebens traf, um die "Salome" von Richard Strauss zu hören. Und die beiden unterhalten sich über Sinn und Inhalt einer Symphonie, und Mahler sagt, er stelle sich eine Symphonie vor wie die ganze Welt. Alles muss mit rein. Und Sibelius antwortet, klassisch finnisch-karg: Für ihn ist es eher so wie ein Glas frisches, kaltes Wasser (lächelt).

BR-KLASSIK: Und was ist es für Sie?

Simon Rattle: Na, beides. Es ist doch wunderbar, ein Dirigent zu sein. Vor kurzem stand beim London Symphony Orchestra (LSO) Mahlers Neunte an. Danach meinte ein Musiker zu mir, es sei wunderschön, das zu spielen, aber zu Hause anhören würde er sich das nicht, es sei ihm zu melodramatisch, dann lieber Kammermusik von Mozart. Als Dirigent kann man sich entscheiden, welche Welt man gerne einen Spalt öffnet. Was man aber nicht tun sollte, das ist, verschiedene Häppchen gegeneinander zu werten.

Zu den Konzerten

Rattle dirigiert das BR-Symphonieorchester mit Mahlers 6. Symphonie am Donnerstag (28.), Freitag (29.) und Samstag (30.) in der Münchner Isarphilharmonie. Mehr Infos finden Sie hier.

Wie soll der Hammer klingen?

BR-KLASSIK: In der Sechsten tauchen viele ungewöhnliche Instrumente auf, vor allem der Hammer am Ende. Das wirkt durchaus theatralisch. Am Ende muss das alles aber doch auch in die klassische Form passen, von der Sie sprachen – wie macht man das?

Sir Simon Rattle dirigiert Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am 21. September 2023 im Münchner Herkulessaal. | Bildquelle: © dpa-Bildfunk/Karl-Josef Hildenbrand Simon Rattle am Pult des BRSO | Bildquelle: © dpa-Bildfunk/Karl-Josef Hildenbrand Simon Rattle: Diese Klang- und Geräuschlandschaft lebt auch davon, dass man sie eben nicht sehen sollte. Die Glocken sollten aus dem Nichts kommen, wie von überall her. Und natürlich geben die Hammerschläge auch Struktur, sie geben der riesigen Sonatenform eine klare Gliederung. Und es ist ja interessant, dass Mahler eigentlich drei Hammerschläge notiert hat. Aber er war abergläubisch und meinte, ein dritter wäre ein Symbol für seinen eigenen Tod, also schrieb er nochmal um, sodass sich eine Fassung ergibt, die einen dritten Schlag unnötig macht. Aber es gab Phasen in meinem Leben, da habe ich den dritten Schlag spielen lassen, weil ich mir gedacht habe: Jetzt lass doch mal den Aberglauben beiseite! Und dann gab es eine Aufführung, da war er vorgesehen, und im entscheidenden Moment hatte der Musiker irgendwie einen Blackout – er stand da mit dem Hammer, aber er spielte nicht. Und dann wurde ich selbst ein bisschen abergläubisch (schmunzelt).

Manchmal denke ich mir sogar, vielleicht wäre es was, den Schlag vorzubereiten, sodass das Publikum wartet, aber dann nicht zu spielen … naja, dieser Effekt passt jedenfalls wunderbar in diese Symphonie. Aber es ist schwierig, ihn nicht metallisch klingen zu lassen. Es sollte nicht wie eine Guillotine klingen. Sondern so, dass sich der Magen umdreht. Vermutlich hört man das, was Mahler vorgeschwebt hat, eher bei einem Konzert von Kendrick Lamar.

BR-KLASSIK: Wie ein Axtschlag soll es laut Partitur klingen.

Simon Rattle: Ja, aber eben nicht metallisch. Das ist die Herausforderung, an der man über die Jahre wächst. Das letzte Mal habe ich Mahlers Sechste in Cleveland dirigiert, nach einem schweren und für die Musiker ernüchternden Streik. Und ich habe versucht, so gut es eben bei diesem Werk geht, das Düstere mit dem Hellen zu verbinden und gesagt: Wann immer jemand das Bedürfnis hat, seinem Frust Luft zu machen - probiert den Hammer aus, und wir finden den richtigen Sound (lacht)!

Manchmal ist es wie ein Schock
Simon Rattle über den Moment nach dem Ende der Symphonie

BR-KLASSIK: Nach dem Schlussakkord – diese Verzweiflung, diese Hoffnungslosigkeit, wie kommt man da zurück ins normale Leben?

Simon Rattle: Das ist eigentlich nicht möglich. Manchmal ist es wie ein Schock, weil ich bemerke, dass hinter mir noch Publikum ist. Aber vielleicht sollte es auch genau so sein.

Sendung: "Allegro" am 27. September 2023 auf BR-KLASSIK

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