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Peter Dijkstra im Interview Riesenchor fürs Jubiläumskonzert

Wie schweißt man zwei Rundfunkchöre zusammen? Peter Dijkstra, Künstlerischer Leiter des BR-Chors, weiß es. Beim BRSO-Jubiläumskonzert mit Arnold Schönbergs "Gurre-Liedern" sind 150 Sängerinnen und Sänger im Einsatz. Die treten zwar erst im letzten Teil des weltlichen Oratoriums auf, müssen dann aber alles geben. Dijkstra, 1978 in den Niederlanden geboren, hat die Einstudierung der vereinten Rundfunkchöre von BR und MDR übernommen. In enger Abstimmung mit Chefdirigent Simon Rattle natürlich, der die Galakonzerte zum 75. Geburtstag des BRSO in der Münchner Isarphilharmonie leitet.

Der Chor des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: Astrid Ackermann | BR

Bildquelle: Astrid Ackermann | BR

BR-KLASSIK: Herr Dijkstra, nach dem Tod von Mariss Jansons 2019 war die Chefposition beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ein paar Jahre verwaist. Sie sind seit Herbst 2022 jetzt schon zum zweiten Mal Künstlerischer Leiter des BR-Chores. Ich denke, mit Simon Rattles Amtsantritt sind auch für den BR-Chor neue Zeiten angebrochen – spürt man eine allgemeine Aufbruchstimmung?

Peter Dijkstra: Ja, das ist absolut der Fall, die Stimmung ist sehr, sehr gut wir freuen uns total, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir haben schon in seiner ersten Spielzeit tolle Projekte mit ihm gemacht. Zum Beispiel das Eröffnungskonzert der vergangenen Saison mit Haydns "Schöpfung". Oder auch das musica viva-Projekt mit Luciano Berios "Coro", womit Rattle auch gezeigt hat, dass er den Chor gerne herausfordern möchte und zugleich, dass er ihn wertschätzt. Er war voll des Lobes über den Chor und die Zusammenarbeit, was mich natürlich stolz macht. Auch in den nächsten Spielzeiten sind viele Projekte mit ihm geplant. Rattle ist phänomenal in der Breite seines Repertoires und in seiner Art, wie er mit den Musikerinnen und Musikern arbeitet – aber auch darin, wie er das Publikum mitnimmt. Ich glaube, das schubst alle ein bisschen an. Das merkt man, und auch für mich ganz persönlich ist es großartig zu sehen, wie das jetzt zusammenwächst und wie sich die Zusammenarbeit in den nächsten Spielzeiten noch intensivieren kann.

AUF ERFAHRUNG BAUEN

BR-KLASSIK: Arnold Schönbergs "Gurre-Lieder" sind ein monströses Stück, beim BRSO wurden sie zuletzt 2009 aufgeführt, damals unter Mariss Jansons. Nach 15 Jahren kommt die Erarbeitung der Chorpartie vermutlich fast einer Neueinstudierung gleich?

Von links: Sir Simon Rattle (Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischer Rundfunks) und Peter Dijkstra (Künstlerischer Leiter des Chores des BR). | Bildquelle: BR/Vera Johannsen Simon Rattle (links) und Peter Dijkstra 2023 in München. | Bildquelle: BR/Vera Johannsen Peter Dijkstra: Das Projekt damals habe ich nicht betreut, aber irgendwie hat der Chor das Stück noch im Blut. Natürlich sind jetzt viele neue Sängerinnen und Sänger dabei. Dazu kommt bei diesem Großprojekt die Zusammenarbeit mit dem MDR-Rundfunkchor aus Leipzig, der 2009 auch schon als Partnerchor dabei war. Aber es ist klar, mit einem neuen Dirigenten muss man sich wieder neu orientieren. Ich habe mich intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt, wir haben auch Notenmaterial im Chor, das in einigen Details auf Rattle zugeschnitten ist. Und meine eigene Prägung habe ich auch noch eingebracht – also im Prinzip ist es eine Neueinstudierung. Allerdings haben wir die "Gurre-Lieder" schon im Januar beim Amsterdamer Concertgebouw-Orchester mit Riccardo Chailly aufgeführt, und somit sind sie schon in unserer Vorstellung präsent. Und im September werden wir das Werk wieder mit Riccardo Chailly an der Mailänder Scala machen.

Unglaublich, wie das komponiert ist.
Peter Dijkstra über die Gurre-Lieder

BR-KLASSIK: Welche Anforderungen stellt denn Schönberg an diesen riesigen Chor in den "Gurre-Liedern"?

Peter Dijkstra: Es ist zunächst mal die schiere Menge – ich glaube, wir haben da rund 150 Sängerinnen und Sänger stehen. Der Männerchor ist sehr gefordert, vor allem beim ersten Auftritt als Waldemars Mannen, wo die Sänger in drei vierstimmige Chöre aufgefächert werden. Sehr virtuos ist das, sehr schnell, polyphon und kraftvoll. Wenn die Männer, das sind dann etwa 80, gemeinsam in die Schlacht ziehen, da kommt etwas Gewaltiges rüber. Unglaublich, wie das komponiert ist. Und unsere Herren machen da wirklich eine fantastische Figur.

Das Galakonzert ansehen

Hier können Sie das Jubiläumskonzert des BRSO in voller Länge anschauen.

BR-KLASSIK: Mich hat das so ein bisschen an Hagens Mannen in Wagners "Götterdämmerung" erinnert…

Peter Dijkstra: Da ist was dran, da gibt es einiges, was sich zum Vergleich anbietet. Ich weiß nicht, ob Schönberg das auch im Kopf hatte, aber er war in den "Gurre-Liedern" noch sehr in dieser spätromantischen Klangwelt von Wagner und Strauss verhaftet.

150 Menschen im Chor: eine logistische Herausforderung

BR-KLASSIK: Der gemischte Chor tritt nur im Schlussgesang "Seht die Sonne" auf. Da sitzt man die ganze Zeit – und dann muss man plötzlich auf Knopfdruck 100 Prozent bringen. Wie ist das für den Chor?

Peter Dijkstra: Genau, die Damen kommen nur für die letzten sechs Minuten beim "Sonnengruß" zum Einsatz – ich sage immer, das ist wie beim Yoga, nur auf andere Art… Wir sind ja in der Isarphilharmonie, wo die Plätze für 150 Choristinnen und Choristen oben auf der Empore ziemlich begrenzt sind. Das heißt, dass wir es anders organisieren müssen. Die Herren werden dort sitzen, auch weil sie noch andere Einsätze haben als Waldemars Mannen. Und erst zum Schlusschor treten die Damen auf. Das wird rappelvoll. Das logistisch zu organisieren ist für uns dann auch noch mal eine spannende Geschichte.

BR-KLASSIK: Der BR-Chor wird bei den "Gurre-Liedern" vom MDR-Rundfunkchor aus Leipzig unterstützt. Wie kriegt man zwei Chöre klanglich zusammen?  

Peter Dijkstra | Bildquelle: © Astrid Ackermann Peter Dijkstra. | Bildquelle: © Astrid Ackermann Peter Dijkstra: Ich kenne auch den MDR-Rundfunkchor sehr gut. Ich habe da oft als Gastdirigent gearbeitet und ich bin auch für die Einstudierung dort verantwortlich, ich habe also das Werk auch in Leipzig einstudiert. In der Konzertwoche werden dann die beiden Chöre zusammengefügt. Dafür gibt es noch eine Extra-Probe, die ich mit den Herren und dann später mit den Damen beider Chöre zusammen leite. Da muss man natürlich schon noch klanglich arbeiten. Aber ich denke, dass ich es in den separaten Proben schon so habe einstellen können, dass es im Zusammenklang dann gut funktioniert.

100 Jahre MDR-Rundfunkchor

BR-KLASSIK: Es gibt sogar noch ein Jubiläum, weil der MDR-Rundfunkchor in diesem Jahr 100 Jahre alt wird – das ist der älteste deutsche Rundfunkchor!

Peter Dijkstra: Ja, das ist unfassbar. Der Rundfunk in Deutschland ist 1923 gegründet worden, und im Jahr darauf bereits der MDR-Chor. Ich weiß, dass der Schwedische Rundfunkchor nächstes Jahr seinen 100. Geburtstag feiern wird. Da sind wir beim BR-Chor mit dem Gründungsjahr 1946 ein bisschen später dran.

Ich bin total gespannt, wie Simon Rattle an die Gurre-Lieder rangeht.
Peter Dijkstra

BR-KLASSIK: Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten bei diesen "Gurre-Liedern" zum 75. Geburtstag des Symphonieorchesters des BR?

Peter Dijkstra: Zunächst einmal auf dieses gewaltige Stück, auf den Klangrausch, den man da erleben darf. Und auf die Zusammenarbeit mit dem Chefdirigenten. Ich bin total gespannt, wie Simon Rattle da rangeht. Und wir haben fantastische Solisten, ein klasse Orchester und natürlich einen überragenden Chor. Also, das wird ganz, ganz toll!

Sendung: Galakonzert 75 Jahre BRSO, am 19. April, ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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