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Kommentar: Musikszene nach Corona Wieviel Schaden haben die Einschränkungen hinterlassen?

Jetzt dürfen sie wieder musizieren wie vor der Pandemie: die Chöre, Blasorchester, Sinfonieorchester und alle diejenigen, die das Laienmusizieren in Bayern so bunt erscheinen lassen. Doch wollen und können sie alle auch? Ein Kommentar von Stephan Ametsbichler.

Stephan Ametsbichler, Oktober 2018. | Bildquelle: BR/Markus Konvalin

Bildquelle: BR/Markus Konvalin

Jetzt dürfen sie wieder!… Wobei, eigentlich dürfen sie ja schon seit einem Jahr, wenn auch mit großen Einschränkungen: die Chöre, Blasorchester, Sinfonieorchester und alle diejenigen, die das Laienmusizieren in Bayern so bunt erscheinen lassen.

Hohes Frustrationspotential in Coronazeiten

Und dennoch. In den zwei Jahren der Corona-Pandemie hat sich ein hohes Frustrationspotential aufgebaut. Erst konnte man gar nicht musizieren, dann nur sehr distanziert und unbefriedigend über digitale Kanäle. Schließlich doch auch wieder live und vor Ort, aber mit viel zu großem Abstand und ohne die notwendige musikalische Tuchfühlung mit seinem "Nachbarn". Da brauchte es nicht nur viel Selbstbewusstsein, da brauchte es auch sehr viel musikalische Selbständigkeit. Dazu kam der Mehraufwand durch die angeordneten Hygienemaßnahmen und schließlich die leidige und für viele zermürbende Diskussion um das Für und Wider einer Impfung gegen das Virus. Auch bei Musikerinnen und Musikern, bei Sängerinnen und Sängern und natürlich auch bei den Dirigentinnen und Dirigenten ging da schon auch ein Riss durch die Reihen.

Eine gespaltene Gesellschaft: Auch ein Problem für die Ensembles

Da gab es die Ungeimpften, die einfach ausgeschlossen wurden. Oder die Vorsichtigen, Ängstlichen oder Verantwortungsvollen, die lieber nicht in eine Probe ohne Maske kommen wollten, weil sie ja am anderen Tag wieder im Krankenhaus oder Altenheim arbeiten mussten. Da gab es die Lehrerinnen und Lehrer, die – trotz aller gesundheitlicher Vorkehrungen im Schulbetrieb – ständig der Gefahr einer Infektion ausgesetzt waren und diese nicht auch noch auf ihren Chor oder ihr Orchester übertragen wollten. Und da gab es auch die Ensembleleiter und Vereinsvorsitzenden, die zwischen allen Stühlen sitzend, lieber auf Proben und Konzerte ganz verzichteten, als sich auf eine der beiden Seiten schlagen zu müssen und mit nur einem Teil einer auch noch gespaltenen Gemeinschaft ihre musikalische Arbeit mehr schlecht als recht fortzusetzen. Sicher, es gibt auch Chöre und Orchester, die es mit viel Kreativität und diplomatischem Geschick ganz gut durch diese Pandemie geschafft haben. Ja und es gibt natürlich auch jene, bei denen vorher schon Vieles im Argen lag, etwa durch Überalterung oder aufgrund fehlender Erneuerungskonzepte, und denen Corona nun vollends den Garaus gemacht hat.

Ein Warnsignal bei den Blasorchestern

Jetzt aber dürfen sie wieder alle! Doch wollen sie alle auch? Bei den Blasorchesterverbänden in Bayern zählte man zu Beginn der Corona-Pandemie noch etwa 123.000 aktive Mitglieder. Heute, zwei Jahre später, sind es nur noch knappe 118.000. Sicher kein eklatanter Schwund, aber in einer Szene, in der es seit Jahrzehnten immer nur kontinuierlich aufwärts gegangen ist, sind vier Prozent Verlust zumindest ein Warnsignal.

Zu viele Ängste, zu große Fragezeichen, zu große Interessenskonflikte haben dafür gesorgt, dass so manche Musikerin und mancher Chorsänger sich aus seinem oder ihrem Schneckenhaus immer noch nicht wieder heraus getraut hat und in nicht wenigen Fällen sich wohl auch für immer in diesem zu verkriechen gedenkt.

Wir brauchen Menschen, die sich wieder trauen
Stephan Ametsbichler

Was es jetzt also braucht, sind Menschen, die sich wieder trauen. Wir Instrumentalisten und Choristen müssen uns gegenseitig vormachen, dass ein Chor- und Orchesterleben immer noch und auch wieder aufs Neue funktioniert. Auch wenn man vielleicht nicht immer gleich auf dem Niveau antreten kann, auf dem man vor zwei Jahren aufgehört hat.

#MachMusik – eine Kampagne zur richtigen Zeit

Gut, dass der Bayerische Musikrat mit seiner gerade anlaufenden Kampagne #MachMusik einen Impuls geben will, der den Menschen wieder Mut machen soll: Mut zu singen und zu spielen; und so das Musikleben in Bayern wieder in Schwung bringen. Gut auch, dass es die finanziellen Hilfsprogramme gibt, die vielen Vereinen, aber auch einzelnen Künstlern nicht nur ein Durchhalten, sondern auch ein Weitermachen ermöglichen.

Von Politik und Gesellschaft braucht es mehr als Lippenbekenntnisse

Was es aber zudem braucht, ist auch die Solidarität aus Politik und Gesellschaft, die sich nicht nur in wirkungslosen Lippenbekenntnissen erschöpfen darf. Es braucht die konkrete Aufforderung: Spielt für uns! Singt für uns! Wir brauchen Euch und sorgen mit allen Mitteln dafür, dass es Euch auch weiterhin gibt!

Kultur ist immer verfügbar? Ein Trugbild

Diese gelebte Wertschätzung war in den vergangenen Jahren einer kulturellen Saturiertheit nicht mehr überall zu spüren. Sehr viele haben angefangen, Kultur als selbstverständliches Konsumgut anzusehen. Dass diese Kultur immer und überall und so ganz ohne Zutun, ohne Aufwand und Unterstützung  einfach verfügbar ist, hat sich als Trugbild erwiesen. Jetzt merken wir, dass es alles andere als das ist. Hoffentlich hat die Pandemie gerade auch dafür unseren Blick wieder geschärft.

Kommentare (1)

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Mittwoch, 06.April, 12:50 Uhr

Franz Gattung

KulturDanke

Dankeschön. Kultur ist Zweck.
Es ist wie mit der Gesundheit-man merkt es erst wenn sie weg ist.Dann kommt die Barbarei.

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