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Solidaritätskonzert in Berlin Kulturszene setzt Zeichen gegen Antisemitismus

Lange hat die Kulturszene geschwiegen zu den antisemitischen Auswüchsen nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober. Der Pianist Igor Levit hat jetzt Künstler und Prominente aus allen Branchen eingeladen, bei einem Solidaritätskonzert aufzutreten.

Igor Levit | Bildquelle: Felix Broede

Bildquelle: Felix Broede

In viereinhalb Minuten waren die über 700 Plätze des Berliner Ensembles verkauft. Jede Künstlerin, jeder Prominente des Abends hätte das auch mit einem Soloprogramm geschafft, allen voran der Pianist Igor Levit. Gemeinsam aber haben sie alle in knapp vier Stunden eine überwältigende Kraft entwickelt, nach so vielen Wochen des Schweigens der Mehrheit und der Hassparolen gegen Juden.

Igor Levit initiiert erste große Solidaritätsveranstaltung der Kulturszene

Der Publizist Michel Friedman hat mit Igor Levit zusammen in wenigen Tagen diese erste große Solidaritätsveranstaltung der Kulturszene organisiert: "Wir sind heute hier zusammengekommen, weil wir gespürt haben, dass es Menschen in unserem Land gibt, die sagen: einige sind niemand. Und weil wir dafür stehen, dass jeder jemand ist und weil wir wissen, wie wir auch irgendwann ein niemand sein können. Und dass wir uns brauchen und dass wir uns aufeinander verlassen können müssen. Vielleicht ist es dieses Mal nicht so gut gelaufen. Wochenlang war die große Öffentlichkeit nicht da, die Theater und die Kunst haben sehr wenig gemacht, aber heute haben wir was gemacht. Ich habe zwei Kinder. An was soll ich glauben, wenn nicht an uns Menschen. Ich werde heute Abend nach Hause gehen, und morgen ist wieder ein Tag. Und ich werde dafür kämpfen, dass jeder jemand ist."

Klicktipp

Im Gespräch mit BR-KLASSIK erzählt der Pianist Igor Levit von seiner Situation zwischen Solidarität und neuem Antisemitismus in Deutschland. Lesen Sie hier das komplette Interview.

Jörg Widman, Joana Mallwitz und Katharina Thalbach mit dabei

Mendelssohn trifft auf Campino von den Toten Hosen und die Schauspielerin Katharina Thalbach liest Karl Valentin. Regisseurin Maria Schrader, Liedermacher Wolf Biermann, Fernsehkoch Tim Mälzer, Klarinettist Jörg Widmann und die Dirigentin Joana Mallwitz, sie alle engagieren sich ohne Gage an diesem Abend und positionieren sich gegen Judenhass. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer liest Carolin Emckes Text gegen den Hass: "Manchmal frage ich mich, ob ich sie beneiden sollte, manchmal frage ich mich, wie sie das können, so zu hassen. Wie sie sich so sicher sein können, denn das müssen die Hassenden sein. Sicher. Sonst würden sie nicht so sprechen, so verletzen, so morden. Sonst könnten sie andere nicht so herabwürdigen, demütigen, angreifen. Sie müssen sich sicher sein. Ohne jeden Zweifel."

Die 102-jährige Margot Friedländer hat im Berlin der Nazizeit diesen Hass kennengelernt und ist dennoch nach langen Jahren der Emigration aus den USA zurückgekehrt. "Als ich zurückgekommen bin 2010, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich etwas ändern würde. Es war wunderbar, alles war gut. Ich bin entsetzt, was jetzt sich aufgetan hat."

Poesie und Musik gegen Judenhass

Eine große poetische Stimme Israels war Yehuda Amichai. Maria Schrader erinnert an ihn mit seinem Gedicht "Der Ort, an dem wir recht haben". Wolf Biermann widmet sein berühmtes Lied "Ermutigung" den Palästinensern, die mögen sich endlich befreien vom Joch der Unmündigkeit durch die Hamas und er warnt: "Du lass nicht verhärten in dieser harten Zeit". Campino von den Toten Hosen erzählt, er würde seine Eltern verraten, wenn er sich jetzt raushielte, er singt: "Die Welt steht grad auf ihrem Kopf, die Welt hat sich gedreht, ein Grauen Schatten liegt auf unserem Weg. Unter den Wolken wird's mit der Freiheit langsam schwer, wenn wir hier und heute alle wie betäubt sind."

Konzert in der ARD Mediathek abrufbar

Mindestens 15 Mal will Igor Levit einen Abend dieser Art deutschlandweit organisieren. Er wird hassende Dumpfbacken und die üblichen Ja-aber-Abwiegler nicht klüger machen. Aber er zeigt, wie viel politisches Engagement in der Kulturszene möglich ist. Und er ist jederzeit in der ARD-Mediathek abzurufen.

Sendung: "Allegro" am 28. November 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Donnerstag, 30.November, 16:26 Uhr

Renate Krüger

Solidaritätskonzert im BE

Danke an Herrn Levit für diese wunderbare und so notwendig gewordene Aktion gegen Antisemitismus und Aufruf an die schweigende Mehrheit , die auch mir Angst macht! Mehr davon und nicht schweigen !

Mittwoch, 29.November, 23:57 Uhr

Rolf Engel

Solidaritätskonzert in der Mediathek

Warum enthält der Artikel keinen Link zu dem Konzert in der Mediathek?

Mittwoch, 29.November, 19:35 Uhr

Plasson Genevieve

Solidaritätskonzert

Danke Herr Levit für Ihre Mutige Initiative.
Endlich machen so viele mit.

Mittwoch, 29.November, 16:03 Uhr

Beate Schwärzler

Gegen das Schweigen und gegen den Antisemitismus

Gestern Abend die Aufzeichnung angesehen.
Von Viertel vor sieben bis Viertel nach zehn.

Sehr, sehr eindrucksvoll. Hochkarätig das Meiste. Bis gegen Ende...

Wie bitter dringend wichtig und nötig derlei Solidaritätsbekundungen sind,
zeigten heute Morgen Berichte von im Austausch gegen jüdische Geiseln frei-
gelassene Palästinenser und ihre - s o f o r t - Solidaritätsbekundungen mit der
Hamas.#
Somit, sage ich, auch mit deren Gräueltaten.

Und heute früh, in der Wh. der "Kulturzeit"
leise, leise Igor Levit auf dem Piano spielend,
während im Vordergrund die 102-jährige Margot Friedländer zu uns "Menschen" spricht.

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