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Kritik – Igor Levit in Salzburg Erde, Himmel, Hölle, Verklärung

Epische 100 Meter ist die Bühne breit im Großen Festspielhaus in Salzburg. Oft leergeräumt für nur einen Flügel in der Mitte. Am Montagabend nahm dort Igor Levit Platz, um Werke von Beethoven, Schubert, Brahms und Liszt zu spielen. Dabei durchforstete Levit emotionale Aggregatzustände und suchte im Jenseits Erlösung.

Igor Levit spielt bei den Salzburger Festspielen 2023 | Bildquelle: SF/ Marco Borrelli

Bildquelle: SF/ Marco Borrelli

Kritik zum Anhören

Es gibt Tage, hat Igor Levit mal gesagt, an denen er in Sachen Beethoven sich selbst ungläubig fragt: Echt jetzt? Schon wieder? Aber sobald er am Klavier sitze, sei alles dahin, er vom Sog verschluckt, von der Magie verzaubert. Daran konnte man denken, als Levit sein Salzburger Rezital mit Beethovens "Waldsteinsonate" eröffnete: In gewohnt hohem Tempo, aber fast schon beiläufig hämmert sich das Anfangsmotiv in den Saal, viel Pedal, etwas unmotiviert. Im selben Augenblick blitzt jedoch ein Akzent hervor, ein kurzes Innehalten, eine Nuance, die spüren lässt: ich mein es ernst, hier ist nix abgespult. Insgesamt bleibt diese Waldsteinsonate zwar fahrig, manchmal unsauber und unausgewogen in den Stimmen. Die bezwingende Stärke besteht darin, dass Levit nichts Außermusikalisches inszeniert, wo Nichts ist. Es menschelt einfach. Ganz irdisch geht es zu, ganz spontan und ganz profan.

Mit Schubert in den Himmel

Bei Schubert ist das ganz anders. Wie Levit den Beginn der "Moments Musicaux" abtastet, die Themen zwischen den Händen auffächert, abgleicht und abdunkelt, lässt eine Meta-Ebene mitschwingen, die in Richtung Himmel zeigt: Was hier klingt, ist Seufzen, Hoffnung und Enttäuschung – Levit geht die Stücke wie Lieder ohne Worte an, ein wundersamer Klagegesang des klagenden Wundersamen namens Schubert. Dabei gelingt Levit gerade mit dem populären f-moll Moment, das schon durch Millionen Eleven-Hände verheizt wurde, Magisches: diese vermeintlich einfachen Noten so intim zu geben, auf engstem Raum ein Kraftfeld zu spannen zwischen fahler Melancholie und banger Hoffnung, ist große Kunst.

Die Salzburger Festspiele 2023 bei BR-KLASSIK

Lesen Sie alle Neuigkeiten rund um die Salzburger Festspiele in unserem Dossier.

Geerdeter Brahms

In den sieben Fantasien op. 116 von Brahms führt uns Levit wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Und die schuf der späte Brahms radikal. Was er hier mit diesen Miniaturen vorlegte, ist eigentlich ein Unding. Offen, wie im Vorbeigehen, manchmal ohne greifbares tonales wie rhythmisches Zentrum – an einigen Stellen hat man gar das Gefühl, Anton Webern grüßt schon am Horizont. Tief nach innen lotender Monolog, altersweiser Lebensrückblick, aber nie sentimental, immer im intellektuellen Korsett. Rau und schroff zimmert Levit die Akkordblöcke in den Riesensaal, der in den folgenden Minuten auch mehrfach Resonanz bietet für hauchendes Pianissimo. Manchmal hat man das Gefühl, man höre die tiefen Stirnfalten, die der alte Zauderer Brahms gehabt haben mag. Levit gelingt die Gratwanderung bravourös, zaubert im Leisen, modelliert Mittelstimmen von sogkräftiger Schönheit. Eine technische und in der Gesamtspannung vor allem geistige Anstrengung, die man Levit erst im Schlussakkord anmerkt, als er mit der Faust auf den Schemel klopft.

Trip in die Unterwelt mit Liszt

Danach kann als Ventil eigentlich nur noch die Hölle kommen, in die Levit mit Liszts Dante-Sonate schon in den Zwischenapplaus mit den Tritonus-Oktaven hineinhechtet. In wildem, teilweise irrwitzig temporeichem Ritt donnert und raunt er durchs Inferno, wie es Dante in seiner "Göttlichen Komödie" beschrieben hat. Aber Levit wäre nicht Levit, wenn er das Stück als blankes Technik-Betthupferl anbieten würde. Diese Unterwelt ist keine Programmmusik im eigentlichen Sinn, sie ist immer auch Abbild des leidend-suchenden Liszt, dessen Pilgerjahre zu Ende sind, der sich im (Dante-)Rausch die große Konzertbühne zurücksehnt. Und Sehnsüchte sind bei Genies ja gerne an der Schwelle zur Transzendenz. Das in entwaffnend-sinnigen Klang zu übertragen, ist Levits Verdienst. Die Erlösung macht sich jedenfalls auf Seiten des Publikums in orkanartigem Jubel Raum, auf Seiten des Pianisten eher in der Zugabe, dem filigran-düstren Bach/Busoni-Choral "Nun komm, der Heiden Heiland".

Sendung: "Allegro" am 1. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Freitag, 04.August, 18:47 Uhr

Professor T.

Wandler innerhalb der Mittelmäßigkeit

Als Pianist ist Igor Levit ordentlich bis gut, als gesellschaftspolitischer Kommentator ist er ein Spalter und eine fehlgeleitete unterirdische Zumutung. Bei seinem Klavierspiel (das Feld, auf welches er sich beschränken sollte) in Salzburg hat er sich stilsicher innerhalb dieser Grenzen bewegt.

Dienstag, 01.August, 08:40 Uhr

Stephanie Knauer

Schuberts f-moll-Miniatur

San´mer froh, dass es noch Eleven gibt, die das f-moll-Stück von Franz Schubert "verheizen" wollen... (und nicht River Flows in You)

Dienstag, 01.August, 08:02 Uhr

Beate Schwärzler

Igor Levits Präsenz

...und wäre gerne dabei gewesen in Salzburg.
13 Tage zuvor habe ich Igor Levit in München erlebt im Nationaltheater, mit einem anderen Programm. Zum ersten Mal live.
Hmmm.
Wenn ich zur Bühne runtersah, hatte ich die gleiche Empfindung wie bei meinem 2 Jahre
jüngeren Bruder, den ich als Kind, selbst dünn und mit staksigen Beinen, immer beschützen wollte.
Seine Scheu, seine Zartheit, sein Künstlertum.

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