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Kritik "Die dunkle Seite des Mondes" in Hamburg Enttäuschende Oper von Unsuk Chin

Erst 2024 bekam die Komponistin Unsuk Chin den Ernst von Siemens Musikpreis. Nun wurde ihre Oper "Die dunkle Seite des Mondes" in Hamburg uraufgeführt. Fazit: Ein lähmend-lärmendes Missvergnügen.

Die dunkles Seite des Mondes | Bildquelle: Staatsoper Hamburg

Bildquelle: Staatsoper Hamburg

Bald ist es 20 Jahre her, dass das erste Musiktheater der aus Südkorea stammenden, aber lange schon in Deutschland lebenden Unsuk Chin an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt wurde. Kent Nagano war damals Chefdirigent und ihn verbindet seit langem eine enge Freundschaft mit Chin. Da passt es natürlich wunderbar, dass am Ende von Naganos Hamburger Amtszeit Unsuk Chins (erst!) zweite Oper herauskommt.

Erfolgreich: Unsuk Chins erste Oper "Alice in Wonderland"

Die Stoffe allerdings sind grundverschieden - und leider die Qualitäten der Werke. "Alice in Wonderland" wurde 2007 in München zum Erfolg, sicher auch weil die Komponistin zwar am Libretto mitwirkte, aber dem Dramatiker David Henry Hwang bei der Übertragung von Lewis Carrolls Kinderbuch ziemlich freie Hand ließ. Und Achim Freyer Regie führte.

"Die dunkle Seite des Mondes" schrieb Unsuk Chin selbst

Die Komponistin Unsuk Chin | Bildquelle: © EvS Musikstiftung | Fotos: Rui Camilo Bildquelle: © EvS Musikstiftung | Fotos: Rui Camilo In Hamburg schrieb Chin den Text (unterstützt von einer Dramaturgin) und wählte auch das Sujet, was ein Hauptproblem darstellt. Es geht – im Kern – um eine vom Physiker Wolfgang Pauli und dem Psychoanalytiker C. G. Jung historisch belegte Beziehung. Pauli litt unter heftigen Träumen und Visionen und begab sich bei Jung in Behandlung, was in Paulis Umfeld für Kopfschütteln sorgte.

Ein Pakt mit dem "Seelenheiler"

Unsuk Chin entwickelt daraus die Charaktere Dr. Kieron und Meister Astaroth: Ersterer entpuppt sich als machtgeiler Unsympath, der sich kaum um andere schert (inklusive seiner drogenabhängigen Ex-Geliebten Miriel). Astaroth ist eine Art Teufelsfigur, der als "Seelenheiler" arbeitet und mit Kieron einen Pakt eingeht – Faust lässt grüßen... Am Ende indes verschwindet der dunkle Meister und Kieron fällt ins dunkle Weltall aus Depression und Angstvisionen zurück.

Sprache über weite Strecken grauenhaft

Dazwischen geht es noch um den möglichen Bau einer möglicherweise immens schlimmen Bombe, Geistwesen spuken herum, dies alles jedoch ohne Pointe(n) oder viel Sinn. Die Figuren gehen einen wenig an, vieles bleibt fremd und distanziert. Die Sprache wirkt über weite Strecken einfach grauenhaft. Mal herrscht hoher Ton, dann folgt Kalauer auf Kalauer (Kieron will etwa nicht an die Sonne, weil er keine Photosynthese mag, über die Ehe heißt es "errare humanum est", also "Irren ist menschlich"). Die Textfülle ist derart gewaltig, dass sich kaum jemand das alles merken kann und der Souffleur ebenso stark zu hören ist, wie die Text/Übertitel-Schere für unfreiwillige Komik sorgt. Aha, so steht es also im Libretto...

Viel Redundanz in der Musik

Auch musikalisch ist die Chose eine veritable Enttäuschung. Links neben der Bühne gibt es ein Akkordeon und selbiges spielt gefühlt (oder doch real?) 300 Mal die identischen eineinhalb Akkorde. Das groß dimensionierte Schlagwerk setzt Chin momentweise mit Virtuosität ein, wie auch manch glitzerhelles Glissando oder leicht ironisch auftrumpfendes Tuttigewirr Eindruck macht, aber die Oper dauert – inklusive Pause – dreieinhalb Stunden! Davon sind circa zwei überreich an enervierender Redundanz.

Hochleistungssport für Sängerinnen und Sänger

Thomas Lehman in der Oper "Die dunkle Seite des Mondes" von Unsuk Chin, 2025 | Bildquelle: Staatsoper Hamburg Thomas Lehman singt den Kieron mit bewundernswerter Ausdauer. | Bildquelle: Staatsoper Hamburg Für das Personal auf der Bühne ist Hochleistungssport angesagt. Bo Skovhus brilliert als dunkel timbrierter Teufel, der manchmal auch eher banale Falsettsprünge meistern muss. Thomas Lehman singt den Kieron mit bewundernswerter Ausdauer, aber sein amerikanischer Akzent trägt nicht zum Verständnis der ausufernden Texte bei (es wird auch viel gesprochen!). Siobhan Stagg trillert die gefallene Ex-Geliebte Miriel, gut der Counter Kangmin Justin Kim als Anima sowie Narea San als "lichtes Wesen" – das ist wiederum so licht und nicht ganz dicht, dass es nur Vokalisen zum Besten gibt. Kent Nagano legt sich mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg mächtig ins Zeug, da gibt es nichts zu mäkeln.

"Die dunkle Seite des Mondes": Missglückte Inszenierung

Indes missglückt auch die Inszenierung des Regie-Duos Dead Centre. In einer Mischung aus abstrakten Bildern und Projektionen sowie überdrehten pseudorealistischen Situationen wurschtelt und wuselt man sich halt irgendwie durch. Mit vielen szenischen Wiederholungen und kaum Personenregie. Abgesehen von einer Jubelgruppe rechts hinten im Saal blieb der Applaus eher matt, in der Pause gaben bereits etliche auf und kehrten nicht wieder. Bleibt die Hoffnung, dass uns dieser musiktheatralische Rohrkrepierer nicht andernorts noch mal begegnet.

Sendung: "Leporello" am 19. Mai 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Montag, 19.Mai, 15:15 Uhr

Nina Nikitin

Die dunkle Seite des Mondes

Bin gar nicht einverstanden mit der Kritik! Nicht nur die Geschichte ist in komplexer Vielfalt starker Gedanken erzählt. Auch die immer noch männerbestimmte Welt ist in ihrer grauen oder weiskittelgekleideten Einheit ein Abbild der Wirklichkeit, in der selbst der alltägliche Rassismus vorkommt. Die Vielfalt der stimmlichen Variation und der orchestralen Kraft ist dem Thema gerecht und das Bühnenbild ein Feuerwerk von grandiosen Einfällen, das eine Ahnung quantenphysikalischer Weltraumsprünge vermittelt. Die Opernleitung Hamburg und Kent Nagano haben ein großes Werk als Abschied hinterlassen!

Montag, 19.Mai, 14:52 Uhr

Tim Theo Tinn

Enttäuschende Oper von Unsuk Chin

ZU: ENTTÄUSCHENDE OPER VON UNSUK CHIN 

 "Alice in Wonderland"  2007 in München von der Komponisten soll gem. des Berichtes erfolgreich gewesen sein. Ich habe ganz andere Erinnerungen - und empfand alles als sehr unangenehm. Es ist die einzige Theatervorstellung in bald 50 Jahren, der ich vorzeitig entflohen bin. Ansonsten stimme ich mit der Würdigung des neuen Werkes auch für den Erstling  "Alice in Wonderland" überein. Das war Musiktheater zum Abgewöhnen.
Tim Theo Tinn 19.5.2025

Montag, 19.Mai, 12:16 Uhr

Renate von Törne

Kritik Oper: "Die dunkle Seite des Mondes"

Sehr geehrte Damen und Herren,
eine sehr interessante Kritik, in der nicht (wie so oft) die Lobhudelei dominiert. Ich frage mich, ob der Titel eine Reminiszenz an den gleichnamigen Roman sein soll (Martin Suter, Die dunkle
Seite des Mondes, Diogenes 2000). Ich kann keine Parallelen erkennen, aber mit der Oper
bin ich nicht vertraut.
Mit freundlichen Grüßen
Renate von Törne

Montag, 19.Mai, 12:01 Uhr

Barboncino

Freude

Wieviele klassische Opern wurden schon verhunzt.Wie oft habe ich mich deswegen geärgert. Jetzt habe ich endlich Grund zur Freude darüber, dass es modernen Opern genauso geht.

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