Richard Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" funktioniert gerade wegen seines spätromantischen Pathos auch als Satire. Regisseur David Hermann verspricht sogar drei unterschiedliche Perspektiven auf das Werk. Das ist kurzweilig, aktuell und erfrischend unverbraucht, wirkt aber auch arg konstruiert.
Bildquelle: Ludwig Olah
Kritik
Wagners "Parsifal" am Staatstheater Nürnberg
Vom Ökostrom erhofft sich die Menschheit derzeit ja tatsächlich eine Art Erlösung – jedenfalls Rettung vor dem Klimawandel, vor dem Steigen der Meeresspiegel, vor Dürre und Flut. Insofern ist es mindestens aktuell, wenn auch womöglich nicht sonderlich plausibel, dass am Ende der Nürnberger Inszenierung von Richard Wagners "Parsifal" die Gralsritter ihre Spiegel auf eine Photovoltaik-Anlage ausrichten. Der viel besungene und von allen heiß ersehnte Gral als Sonnenkollektor, auf die Idee kam bisher noch keiner.
Regisseur David Hermann hatte zu Beginn des fünfstündigen Abends drei unterschiedliche Perspektiven auf Wagners letztes Musikdrama versprochen, in jedem der drei Aufzüge eine neue Sichtweise. Das wurde konsequent eingehalten, wenn auch nur als Satire: Im ersten Akt zeigt Hermann eine märchenhafte Mittelalterwelt, kitschig überdreht. Die allesamt blondschopfigen Gralsritter in roten Strumpfhosen, ein schauerlicher Geist mit Fledermausflügeln lässt den Gral und die Heilige Lanze vom Himmel herabschweben, als ob sich eine dieser berühmten Fassadenfiguren von Notre Dame direkt auf den Weg nach Nürnberg gemacht hatte. Ein "Weihspiel", ist diese ironische Auseinandersetzung mit Wagners Pathos überschrieben.
Bildquelle: Ludwig Olah Ironisch geht's weiter: Im zweiten Akt, dem "Bühnenspiel", wird die traurige Architekturgeschichte des Nürnberger Opernhauses im Nationalsozialismus thematisiert. Weil Adolf Hitler den prächtigen Jugendstil von 1905 nicht ausstehen konnte, ließ er alle Schmuckelemente entfernen und aus dem Bau einen kühlen neoklassizistischen Musentempel machen, selbstverständlich mit repräsentativer "Führer"-Loge. Auf der Bühne kokettieren Regisseur David Hermann, Ausstatter Jo Schramm und Kostümdesignerin Bettina Werner derweil mit der Optik des "Nibelungen"-Films von 1924, der bis heute mit seiner üppigen Jugendstil-Ästhetik beeindruckt. Eine Heldensaga ausgerechnet in dem floralen-geometrischen Outfit, das Hitler verpönte. Satire für Kenner also.
Am Ende, im dritten Akt, wird ein "Endspiel" präsentiert. Offenbar ist die Erde atomar verseucht, Parsifal und seine Truppe tragen Atemgeräte auf dem Rücken und weinen reichlich künstliche Tränen um die Welt, ein besonders greller, ja klamaukiger Einfall. Klar, der "Parsifal" geht mit seiner ganzen weihevollen Atmosphäre auch als Satire durch, vor allem heute, wo Heilslehren aller Art unter Generalverdacht stehen. Aber das aufwändige Konzept wirkt insgesamt doch zu fahrig, unentschlossen, bemüht, konstruiert. Immerhin: So unterhaltsam ist "Parsifal" selten, gilt er doch als handlungsarm und meditativ. Für andächtige Konzentrationsübungen und Jenseits-Reflexionen ist der Abend allerdings nichts.
Tadeusz Szlenkier in der Titelrolle des Parsifal | Bildquelle: Ludwig Olah Musikalisch begann Dirigent Roland Böer im Vorspiel recht gravitätisch, beschleunigte aber rasch das Tempo. Wie nicht anders zu erwarten, machte die hervorragende Staatsphilharmonie Nürnberg die szenische Satire nicht mit, ganz im Gegenteil, es wurde mit wahrhaft frommem Eifer und dem zur Redensart gewordenen "deutschen Ernst" aufgespielt. Unter den Solisten sind Patrick Zielke als dauerbeschäftigter, bemerkenswert gemütlicher Gurnemanz und Jochen Kupfer als überraschend agiler, keineswegs fußlahmer "schwer versehrter" Gralsritter Amfortas hervorzuheben. Tadeusz Szlenkier in der Titelrolle ging auch allen Stereotypen aus dem Weg und hatte rein gar nichts von einem Sektierer. Er war eher Handlungsreisender in Sachen Neugier.
Anna Gabler als untote, vom Erlöser einst verfluchte Kundry war eine resolute Führungspersönlichkeit und damit auch ganz gegen Wagners groteskes Frauenbild gezeichnet. Insofern erfrischend unverbrauchte Rollenporträts. Und weil auch die Chöre sehr gut geprobt und hoch motiviert waren, ein Wagner-Abend, der musikalisch überzeugte und szenisch überraschte. Die Gralsritter mitten in der Energiewende, auch im übertragenen, also weltanschaulichen Sinn, das sorgt sicher für Diskussionsstoff.
Sendung: "Allegro" am 2. April 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (6)
Sonntag, 07.April, 07:25 Uhr
Trappe
@Walter Lange
Ich pflichte Herrn Billard voll und ganz bei, die Musik und Gesang bilden die Grundlage für alles. Mann war bekanntlich genialer Schriftsteller und entsprechend Lobbyist seiner Zunft, insoweit mutet das Zitat nett an, taugt aber nicht zu Beurteilung. Vor allem würde sich auch Mann im Grab umdrehen, was Intendanten und Regisseure heute veranstalten und Stücke bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen versuchen. Motto: Hauptsache die Aufmerksamkeit ist gesichert und man spricht darüber , früher Springerstiefel, dann nackt, heute Ökostrom, morgen…?
Mittwoch, 03.April, 17:38 Uhr
Walter Lange
Parsifal
Klaus Billand schreibt, daß die Kunstform Oper zuerst einmal aus Musik und Gesangs-stimmen besteht. Herr Jungblut habe wohl einem Theaterstück beigewohnt. Dazu Thomas Mann:....... Wir haben die szenische Handlung an dem Punkte, wo sie rituell und Weiheakt wird, wir haben das Theater auf seinem Gipfel - nämlich auf dem Hügel von Bayreuth, wir haben das Schauspiel dort, wo es "Parsifal" heißt.......... "
Mittwoch, 03.April, 15:37 Uhr
Tim Zimmermann
Parsifal in Nürnberg
Sowohl über den ersten als auch den dritten Aufzug kann man sagen was man will, aber gerade für Nürnberger ist der zweite Aufzug genial! Und zur Abwechslung auch ästhetisch eine Augenweide.
Mittwoch, 03.April, 02:08 Uhr
Klaus Billand
Parsifal-Kritik Nürnberg von Peter Jungblut
Ich war zwar nicht in der Aufführung, muss aber ebenso wie Falparsi oben bemängeln, dass Herr Jungblut nicht ein Wort über die gesanglichen Leistungen wenigstens der Protagonisten geschrieben hat. Ist ihm eigentlich klar, dass die Kunstform Oper zuerst einmal aus Musik und Gesangs-Stimmen besteht?! Er hat sich in seiner Verliebtheit der durchaus kritischen Beschreibung einer recht fragwürdigen Inszenierung völlig von den Bildern und schauspielerischen Elementen wegtragen lassen, als hätte er einem Theaterstück beigewohnt. So wird man den Mindestanforderungen an eine kompetente Rezension nicht gerecht und stellt die Arbeit und Leistungen der Sänger unter den Scheffel.
Dr. Klaus Billand, Wien
Montag, 01.April, 23:24 Uhr
Brigitte Steinert
Parsifal Kritik
Sehr geehrter Herr Jungblut,
ich möchte mich herzlich bedanken für diese Kritik. Sie vermittelt mir einen klaren Eindruck der Inszenierung und des ganzen, auch musikalischen Abends. Auch wenn diese Inszenierung sicher nicht jedermann und jedefrau ansprechen wird, haben Sie einen objektiven Eindruck vermittelt, der dazu einlädt, sich mit der Produktion auseinanderzusetzen. Und was wäre Oper in unserer Zeit wert, wenn sie sich nicht neuen Ideen stellen würde. So und nur so überlebt diese Kunstgattung. Da muss trial and error erlaubt sein.
Viele Grüße
Brigitte Steinert
Montag, 01.April, 18:53 Uhr
Falparsi
Musikkritik?
Kein einziges Wort zum Gesang, nicht mal die üblichen 0815-Adjektive. Das muss man bei einer Opernkritik erst einmal schaffen.
Warum darf der das?