BR-KLASSIK

Inhalt

Moritz Eggert zur Zukunft der Oper Konsequent auf Neues setzen

Großzügige Subventionen bremsen den Innovationsdrang im deutschen Opernbetrieb. Sagt Komponist Moritz Eggert. Zum Auftakt der Wagner-Festspiele macht er klar: Um relevant zu bleiben, muss das Musiktheater auf Neues setzen - so wie jetzt beim Parsifal-Experiment in Bayreuth mit augmented reality. Innovative Technik, aber auch neue Stücke sind für Eggert der Schlüssel für eine Zukunft des Musiktheaters.

Komponist Moritz Eggert | Bildquelle: © Astrid Ackermann

Bildquelle: © Astrid Ackermann

BR-KLASSIK: Herr Eggert, Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit verschiedenen Formen von Musiktheater. Was mögen Sie an dieser Kunstform, eine Geschichte singend zu erzählen?

Moritz Eggert: Das kann ich sehr genau erklären. Ich finde, Oper ist eigentlich etwas, das unmöglich ist. Da kommen so viele Sachen zusammen. Jeder, der mal bei einer Opernproduktion dabei war, weiß, wie stressig das sein kann. Aber es kann passieren, dass plötzlich alle diese Sachen perfekt zusammenkommen. Und dann ist es etwas so Magisches und Wunderbares, dass man es nicht mehr vergisst und süchtig wird nach diesen kurzen Momenten, wo alle Teil eines größeren Ganzen werden, nämlich eines gelungenen Opernabends.

BR-KLASSIK: Ihr letztes Werk, das Sie geschrieben haben, war eine Operette. "Die letzte Verschwörung" hatte in Wien im März Premiere und war ziemlich erfolgreich. Was ja zeigt: Musiktheater kann das Publikum sehr wohl ansprechen.

In Deutschland selten auf dem Spielplan: Zeitgenössische Oper

Moritz Eggert: Ich könnte Ihnen viele heutige Komponistinnen und Komponisten nennen, die tolle Musiktheaterwerke schreiben. Man kennt die einfach zu wenig. Wir haben im Moment sehr getrennte Szenen, zum Beispiel Skandinavien. Da werden sehr viele zeitgenössische Opern aufgeführt. Aber die kennen wir ja alle nicht. Alle Länder wurschteln so vor sich hin. Das finde ich sehr schade. In Wien war der schönste Erfolg, dass wir ein neues Publikum für dieses Stück gefunden haben. Das traditionelle Operettenpublikum war natürlich entsetzt über mein Stück. Das war auch ein bisschen zu erwarten, aber wir hatten dann in den weiteren Aufführungen ein ganz neues, auch junges Publikum drin. Das hat mir dann Hoffnung gegeben.

"Die letzte Verschwörung" - Ein spektakuläres Gesamtkunstwerk

Eine Kritik der Uraufführung von Moritz Eggerts Operette in Wien lesen Sie hier.

BR-KLASSIK: Mit dem Publikum ist es ja ohnehin so eine Sache. Die einen haben Angst, dass ein Werk zu anstrengend, die anderen wiederum, dass es zu flach sein könnte. Wie wird man die Ängste als Publikum los?

Moritz Eggert: Ich glaube, was wir in Deutschland immer gerne machen, ist, das Publikum in irgendeiner Form erziehen zu wollen. Das beginnt schon in dieser ganzen so genannten Neuen Musik mit Diskussionen, die natürlich stark von Adorno geprägt sind, den ich durchaus schätze – nicht, dass wir uns hier falsch verstehen! Aber da heißt es oft: Was darf man machen? Was darf man nicht machen? Und wie muss man hören? Dieser Ansatz ist nicht sehr sexy. Ich glaube, dass sich Musiktheater, Musik generell eigentlich, vor allem über das Erlebnis vermittelt. Und da ist es immer sehr spannend, wenn man zum Beispiel zeitgenössische Musik für Kinder spielt. Die haben nämlich überhaupt keine Probleme mit irgendwelchen ungewohnten Klängen. Die finden das super, wenn einer auf dem Cello rumkratzt, die nehmen das einfach als Erlebnis wahr. Und das ist das, was ich eigentlich gerne erzeugen würde beim Publikum: eine Lust auf Erlebnis. Ich will sie nicht erziehen, sondern ich will mündige Hörer haben, die selbst entscheiden, was sie wollen, die selbst entscheiden, ob sie ins Opernhaus gehen – dann aber auch selbst diese Entdeckung machen. Denn ich glaube, die Entdeckungen die man selbst macht, das sind die prägenden. Da möchte ich als Komponist möglichst viel Aufregendes anbieten.

Eggerts fröhlich-polemischer Beitrag zum Thema Neue Musik

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Darmstadt Style (New Music Gangsta Rap) | Bildquelle: Moritz Eggert (via YouTube)

Darmstadt Style (New Music Gangsta Rap)

BR-KLASSIK: Zum aufmerksamen Hören gehört auch in gewisser Weise, den Bildungsballast vor der Tür stehen zu lassen, oder?

Moritz Eggert bei der Probe zu seinem Stück "Muzak" | Bildquelle: Astrid Ackermann Moritz Eggert bei der Uraufführung seiner Komposition "Muzak" | Bildquelle: Astrid Ackermann Moritz Eggert: Ja. Ich will den Einstieg erleichtern. Ich will nicht, dass Menschen das Gefühl haben, sie gehen in ein zeitgenössisches Konzert und sie müssen erst einmal lange Programmhefttexte lesen oder verstehen, wie sich die zeitgenössische Musik in den letzten hundert Jahren entwickelt hat. Das funktioniert meiner Meinung nach nicht. Nehmen wir den Fußball: Ich muss nicht die Fußballregeln komplett verstehen. Aber ich kriege irgendwie mit, dass da eine aufregende Atmosphäre herrscht und dass da irgendwie etwas Hochemotionales geschieht. Und wenn mich das begeistert, dann fange ich natürlich auch an, mich für die Regeln zu interessieren und werde mich dann irgendwie da hineinarbeiten. Dieser Einstieg, der muss eigentlich aus Begeisterung entstehen.

Die Konzertformen sollten überdacht werden

BR-KLASSIK: Liegt das Problem nicht auch an den Präsentationsformen? In der Musik sitze ich auf meinem Platz, muss zuhören. Und – denken wir mal ans Bayreuther Festspielhaus – dann sitzt man eine ganze Weile, und das ziemlich unbequem. Das muss man auch aushalten wollen, nicht nur können.

Moritz Eggert: Ja: ich glaube, das ist sicherlich auch ein Argument, dass viele so im Kopf haben, wenn sie eben sich dann doch nicht trauen, in Konzerte zu gehen. Sie haben das Gefühl, sie könnten vielleicht Musik ausgeliefert sein, die sie gar nicht verstehen oder die sie nicht mögen. Das hat sicherlich auch mit den Konzertformen zu tun. Die müssen irgendwie überdacht werden. Ich verstehe nicht, warum unsere Orchestermusiker nach wie vor in Fräcken aus dem neunzehnten Jahrhundert spielen. (Beim Publikum ist der Dresscode längst nicht mehr so streng - wie Sie hier lesen können. Anm. von BR-KLASSIK) Ich verstehe auch nicht, warum Konzerte die Form haben müssen, die wir im Moment haben. Die ist ja nicht für alle Zeiten in Stein gegossen, die kann sich auch verändern. Warum zum Beispiel funktionieren Festivals, wo man weiß, da ist was los, viel besser als ein Einzel-Konzert? Da liegt auch ein bisschen ein bisschen der Hund begraben.

Die Menschen erleben Bayreuth als ganzheitliches Erlebnis.
Moritz Eggert

BR-KLASSIK: Da ist Bayreuth natürlich ein gutes Beispiel.

Moritz Eggert: Genau – Menschen gehen ja auch freiwillig in die Kirche und setzen sich da auch auf harte Bänke, weil sie an einem Ritual teilnehmen, was ihnen in ihrer Lebenswirklichkeit auch wichtig ist. Und Menschen, die nach Bayreuth pilgern, nennen das ja auch wirklich so: Sie pilgern nach Bayreuth. Es ist wie ein Tempelbesuch, und sie treffen dort natürlich Gleichgesinnte, setzen sich dem aus, leiden auch ein bisschen wahrscheinlich. Aber sie erleben es als ganzheitliches Erlebnis. Und dazu gehört eben auch das Picknick auf dem Rasen vor dem Festspielhaus in der Pause.

Bei Mozart und Wagner war Oper ein echtes Erlebnis

BR-KLASSIK: Aber trotzdem: Wenn man dieses Bild auf den Zustand der Oper transportiert, ist es kontraproduktiv, weil wenn es immer nur ums Ritualisieren geht, dann ist man ja wirklich in der Kirche besser aufgehoben.

Moritz Eggert, Komponist | Bildquelle: © Stefan Frey privat Moritz Eggert im Bayerischen Rundfunk | Bildquelle: © Stefan Frey privat Moritz Eggert: Ja. Wobei natürlich auch neue Rituale erfunden werden können. Ich finde das ja gar nicht dumm. Was jetzt in Bayreuth versucht wird mit diesem AR-Sachen, das sind neue Ideen, die auch für die Bühne interessant sein können und die vielleicht auch wieder mehr Spektakelcharakter haben. Wagner hat sich ja sehr viel Gedanken gemacht über Bühnenbild, wie das Ganze präsentiert wird. Er wollte das ja wirklich als ganzheitliches Kunstwerk haben, und das hatte schon Überwältigungscharakter damals. Auch bei Mozart mit den tollen Kulissen der "Zauberflöte", die wir heute noch bewundern. Das hat die Leute damals auch wirklich visuell begeistert. Das war ein Erlebnis!

BR-KLASSIK: Und technisch auf dem neuesten Stand!

Moritz Eggert: Das sind unsere Opernhäuser tatsächlich nicht mehr. Ein Cineplex in München ist, was Ton- und Bildqualität angeht, auf einem höheren Stand als alles, was in der Bayerischen Staatsoper präsentiert wird. Wenn die zum Beispiel Video benutzen in einer Operninszenierung, ist das nicht viel besser, als was wir zuhause bei uns haben. Wenn die Opernhäuser da moderner werden könnten, würde das auch viele Menschen wieder in die Oper bringen.

Wagner-Festspiele nicht ausverkauft

Anders als früher gibt es immer noch Tickets für Bayreuth. Das ist ein deutliches Signal für die Krise des Musiktheaters insgesamt.

Mit technischer Innovation wäre das Musiktheater dem Kino überlegen

BR-KLASSIK: Ist das denn auch eine Brücke für ein zukünftiges Publikum? Die Technik?

Moritz Eggert: Ja, nicht die Technik isoliert, sondern das Erlebnis an sich. Bei der Oper kommen ja alle Kunstform zusammen. Wenn das wirklich erhöht wird mit Emotionalität auf allen Ebenen, das heißt sowohl auf der visuellen als auch auf der darstellerischen, dann halte ich das für die große Chance des Musiktheaters. Das auch stärker ist als das Kino, in jedem Fall!

BR-KLASSIK: Ja, absolut: Im Kino ist das Bild und das Wort. Aber die Musik erreicht eben eine Ebene im Menschen, die nicht so leicht auszudrücken ist. Das gibt es halt nur im Opernhaus: Musik, Sprache, Bewegung, Theater, Bild. Es ist eigentlich ein Konglomerat von allem.

Moritz Eggert: Prototypisch ist das in allen Kulturen da – eine Form von Opernhaus. Auch in der der ursprünglich chinesischen Oper gibt es dieses Konzept. Die ist ja sehr anders. Wir nennen sie Oper, weil sie uns am meisten daran erinnert. Und dann gibt es natürlich auch religiöse Rituale in allen Kulturen, wo die Musik immer diese Rolle der Emotionalisierung spielt. Ich würde auch die Muezzine im Islam nennen, wo sonst Musik ja verpönt ist. Aber auch dieser Gesang spielt eine wichtige Rolle. Wenn es den nicht gäbe, wäre das nur halb so wirksam. Das wusste selbst der Gründer des Islams.

Hemmschuh für die Oper in Deutschland: Wenig Innovationsdruck

BR-KLASSIK: Wo sehen Sie denn dann den Grund, dass das nicht einfach getan wird? Wo ist der Hemmschuh?

Moritz Eggert am Klavier | Bildquelle: © Astrid Ackermann Moritz Eggert am Klavier | Bildquelle: © Astrid Ackermann Moritz Eggert: Wir haben in Deutschland einerseits eine glückliche, aber auch tatsächlich schwierige Situation, weil gerade unser Opernbetrieb so subventioniert ist und etwas Abgesichertes hat. Der Innovationsdrang ist nicht so groß wie anderswo. Und deswegen fand ich es wirklich sehr interessant, was in diesem Jahr in der Metropolitan Opera passiert ist, die aus deutscher Perspektive unglaublich konservativ und rückständig ist, weil sie halt ein sehr traditionelles Publikum bedienen muss und auch rein kommerziell ausgerichtet ist. Die sind von Spendengeldern und Ticket Verkäufen abhängig. Und ausgerechnet die MET ist nun das erste Opernhaus auf der Welt, das immerhin zu einem Drittel zeitgenössische Stücke von lebenden Autoren und Autorinnen spielt. Das gab's schon ganz lange nicht mehr. Sie müssen umdenken, denn sie merken, dass sie ihr traditionelles Publikum verlieren. Sie müssen ein neues Publikum finden. Und dieser Innovationsdruck, der ist in Deutschland einfach nicht stark genug. Aber der wird auch kommen, und das ist auch schon spürbar. Aber es ist leider ein quälend langsamer Prozess. Ich hoffe, dass ich das noch erlebe, dass sich da grundsätzlich etwas geändert hat.

Sendung: Live aus dem Festspielhaus - ARD Radiofestival, 25. Juli 2023 ab 15:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Kommentare (1)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Sonntag, 06.August, 15:17 Uhr

Phil

Eggert Interview

Alles richtig und interessant. Aber etwas Entscheidendes vergisst Eggert doch: Qualität. Wie oft sieht man, gerade bei zeitgenössischer Musik, bei Dirigenten und bei Regie, gehypte Namen am Werk, deren Haupttalent die Schaumschlägerei zu sein scheint? Sängerische und orchestrale Qualität kann man mit genug Geld und ein bisschen Fachwissen relativ zuverlässig sicherstellen. Bei Regisseurinnen, Dirigenten und Komponistinnen scheint das ungleich schwieriger zu sein. Nur bewährte Namen zu engagieren wird schnell langweilig. Experimente mit neuen Gesichtern gehen allermeistens schief.
Dabei wäre ein Teil der Lösung einfach: Die Orchestermusiker, Chor- und Solosänger befragen. Die können nämlich als Schwarm sehr sicher beurteilen, ob jemand den handwerklichen Teil seines Jobs kann, also so Sachen wie Schlagtechnik, Partiturkenntnis, Personenführung, Organisation von Massenszenen, Notationstechniken und Verständlichkeit des Notenmaterials, etc. Den Unterschied merkt auch das Publikum 100%.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player