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Hèctor Parras "Justice" in Genf Eine Oper fordert Gerechtigkeit

Ausgangspunkt des Musiktheaters von Hèctor Parra ist ein Unfall 2019 in der Demokratischen Republik Kongo. Ein mit Säure gefüllter Tanklaster eines Schweizer Konzerns rast in einen Bus. Die Folge: Mehr als 20 Tote und eine Umweltkatastrophe. Es geht um Neokolonialismus, industrielle Macht und Ausbeutung – und die Frage nach "Justice". Die Inszenierung der Uraufführung in Genf hat der Regisseur Milo Rau übernommen.

Szenenbild Oper "Justice", Uraufführung in Genf | Bildquelle: Carole Parodi

Bildquelle: Carole Parodi

"Bildung für alle" steht auf einem Schild. Rote Samtstühle, eine Festtafel. Man zelebriert die Eröffnung einer Schule, gestiftet von einem großen Rohstoffkonzern für das kongolesische Dorf Kabwe. Was hier vor fünf Jahren geschah, ist im Bühnenhintergrund zu erkennen. Da liegt, monströs und dunkel, ein umgekippter Tanklaster – das Wrack eines Unfalls, und für Regisseur Milo Rau "eine fast kosmologische Katastrophe": "Ein Laster, der Säure transportiert, um eben Mineralien aus dem Gestein zu lösen, der stürzt um auf einen Marktplatz und dann sogar noch auf einen Kleinbus. Und es sterben 20 Menschen qualvoll. Dann beginnt der Regen, die Säure fließt auf den Friedhof und der Priester kann nicht mehr mit den Toten sprechen, weil sogar das Jenseits aufgelöst wird. Also es löst sich eine ganze Kultur und die ganze Menschheit in metaphorischer Weise in diesem Säureunfall auf."

Anklage auf der Opernbühne

Die Oper "Justice" ist eine Art Requiem für die Toten des Säureunfalls. Und eine "Manifestation der Wahrheit" – so sagt es der kongolesische Librettist Fiston Mwanza Mujila: "Ein Ritual", das ein verlorenes Gleichgewicht wiederherstellen soll. Die überlebenden Opfer, die in der Demokratischen Republik Kongo ganz real und bislang vergeblich gegen den für den Unfall verantwortlichen Schweizer Konzern Glencore vor Gericht gezogen sind erheben auf der Bühne des Genfer Opernhauses ihre Stimmen. "Der Marktplatz war ein Fest", singt die Sopranistin Axelle Fanyo in der Rolle der "Mutter des toten Kindes".

Musik inspiriert von zentralafrikanischer Tradition

Szenenbild Oper "Justice", Uraufführung in Genf | Bildquelle: Carole Parodi Bildquelle: Carole Parodi Eine Leinwand über den Sängerinnen und Sängern zeigt Videobilder der "echten" Menschen aus dem Dorf Kabwe. Countertenor Serge Kakudji stammt selbst aus der Demokratischen Republik Kongo, als Schüler jobbte er in den Rohstoff-Minen. Jetzt verkörpert er in der Oper den "Jungen, der seine Beine verloren hat". Afrikanische Einflüsse prägen auch die Musik von Hèctor Parra. 90 Prozent der Partitur von "Justice", sagt er, sind direkt inspiriert von den Musiktraditionen Zentralafrikas. "Ich zitiere vor allem die Kultur der Luba. Sie ist fundamental in der Region. Etwa 20 Mio Menschen gehören ihr an. Es ist eine außergewöhnliche Kultur, basierend auf der 400-jährigen Geschichte des Luba-Königreichs und den schönsten Kunstwerken Afrikas. Die Musik ist sehr vielfältig, sehr stark und artikuliert. Musik aus der Savanne. Sie ist voller Melodien, geradezu lyrisch."

Zwei Welten werden zusammengeführt

Neokolonialismus, industrielle Macht und Ausbeutung. Regisseur Milo Rau und den Autoren von "Justice" ist es gelungen, zwei Welten zusammen auf die große Bühne zu bringen – und dem Publikum in einer der weltweit teuersten Städte der Welt, am Rohstoffhandelsplatz Genf, die himmelschreiende Ungerechtigkeit dieser Welt vor Augen und Ohren zu führen. "Und aus seltsamen Gründen ist das Gebiet, das sehr reich ist, sehr arm", erklärt Rau "und das Gebiet, das keine Rohstoffe hat, ist sehr, sehr reich. Man hat auf der einen Seite die Oper, dieses Gebäude, das wir uns leisten, und auf der anderen Seite hat man dieses zerstörte Dorf. Und das sind zwei Welten, die muss man zusammenführen." Am Premierenabend startete Milo Rau übrigens eine Crowdfundingkampagne: Um Geld zu sammeln für die Opfer in der Demokratischen Republik Kongo.

 Sendung: "Leporello" am 24. Januar 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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