Latex, Leidenschaft und Toreros: Am Sonntagabend feierte die Oper "Carmen" Premiere am Mainfrankentheater Würzburg. Regisseur Till Kleine-Möller hinterfragt toxische Männlichkeit und Freiheit. Das wirkte allerdings allzu verkopft und steril.
Bildquelle: Nik Schölzel
"Carmen" in Würzburg
Die Kritik zum Anhören
Für Carmen wird es bekanntlich eng in George Bizets populärer Stierkampf-Oper. Am Mainfrankentheater in Würzburg sogar besonders eng: Kostümbildnerin Su Bühler lebte in diesem Fall eine ausgeprägte Leidenschaft für Latex-Outfits aus, was mal mehr, mal weniger kleidsam war. Die Titelheldin stand gleich doppelt auf der Bühne, als wortkarge Lebende und als redselige Untote, in beiden Fällen eingewickelt in reichlich rot-glänzendes Plastikmaterial. Und Torero Escamillo sah aus, als ob er jeden Moment zu einer Fetischparty aufbrechen wollte, so körperbetont waren seine Gummiklamotten, auch an der vermeintlich entscheidenden Stelle. Begleitet wurde er von Tänzerinnen in feuerroter Super-Slimfit-Garderobe, die zwischendurch auch mal einen Stierkopf aufsetzten und dekorativ in eine Muleta rannten, wie das Tuch heißt, mit dem das Tier in der Arena gereizt wird.
Auffällige Latex-Dominanz im Mainfranken Theater bei der Oper "Carmen" | Bildquelle: Nik Schölzel
Klar, Regisseur und Choreograph Till Kleine-Möller wollte mit dieser auffälligen Latex-Dominanz offenbar die teils grotesken erotischen Untertöne in Frage stellen, die bei "Carmen" gewollt oder ungewollt im Vordergrund stehen. Diese männerverzehrende "Femme fatale", die im historischen Textbuch noch dazu mit dem diskriminierenden Ausdruck "Zigeunerin" zur exotisch-gefährlichen Klischeefigur gemacht wird, ist aus heutiger Sicht in der Tat mehr als fragwürdig, ebenso wie ihre Vorstellung von "Freiheit" als Außenseiterin. Ob es allerdings hilft, die Geschichte in der Rückblende zu erzählen, die tote Carmen als feministische Mahnerin auftreten und allerlei Worthülsen über Liebe und Freiheit vortragen zu lassen, erschien zweifelhaft.
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Doppelte Carmen: Laura Storz (Carmen-Double), Vero Miller (Carmen) | Bildquelle: Nik Schölzel
Sonderlich überzeugend war die gut dreistündige Inszenierung jedenfalls nicht. Vero Miller in der Titelrolle hatte es stimmlich wie schauspielerisch ohnehin schwer, weil ihr das Charisma eines XXL-Egos fehlte. Wenn dann mit Laura Storz auch noch eine zweite Carmen aus dem Jenseits permanent die Aufmerksamkeit ablenkte, wirkte diese Doppelung eher anstrengend als fesselnd. Das ist das Dilemma, in der jeder "Carmen"-Regisseur steckt: Macht er das Kastagnetten-Drama zu "sinnlich", drohen peinliche Entgleisungen, aktualisiert er es allzu forsch, wird es schnell "verkopft", wie in diesem Fall. Der permanent erhobene moralische Zeigefinger hilft auf keinen Fall weiter.
Weil auch die Ausstattung im Ausweichquartier des Mainfrankentheaters in der "Blauen Halle" gezwungenermaßen sehr spartanisch war – es blieb bei ein paar drehbaren Kulissenteilen und einigen Munitionskisten –, wollte sich kaum Faszination einstellen. Den hochtoupierten Frisuren zufolge spielte die Handlung in den 1960er Jahren, aber die zahlreichen Waffen und Uniformen, die im Einsatz waren, verwiesen eher auf den spanischen Bürgerkrieg der 1930er Jahre. Ein Rätsel, das nicht aufgelöst wurde. Jedenfalls schuften die Frauen hier nicht in einer Zigarrenfabrik, sondern in der Rüstung.
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Musikalisch kam große Sehnsucht nach dem früheren Würzburger Generalmusikdirektor Enrico Calesso auf, denn der Schweizer Dirigent Mario Venzago ließ dessen Leidenschaft und Showtalent sehr vermissen. Venzago konzentrierte sich sehr auf die Partitur statt auf das Geschehen auf der Bühne. Er verwechselte immer wieder mal Lautstärke mit Emotion. Das passierte auch Jongwoo Kim als Don José, während Gustavo Müller als Escamillo stimmlich deutlich martialischer hätte auftreten sollen, wenn er kostümmäßig schon als Macho-Karikatur angelegt war. Insgesamt gab es gleichwohl sehr freundlichen Beifall vom Premierenpublikum, das stellenweise munter mitsummte. Alles andere wäre bei "Carmen" ja auch verwunderlich.
Autor des Artikels: Peter Jungblut
Sendung: "Allegro" am 2. Juni 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 03.Juni, 16:26 Uhr
Christiane Schuler
Kritik zu „Carmen“ am Mainfrankentheater
Interessant, dass dem Kritiker Herrn Jungblut aufgefallen ist, dass die Frisuren in dieser Produktion anscheinend geschichtlich nicht zu den Waffen und Uniformen passen. Das zeigt das Fachwissen des Historikers.
Schade, dass in dieser Kritik wenig musikalische Expertise zum Tragen kam. Dirigentisches Können lässt sich nicht allein am Showgehalt festmachen, der wunderbare Orchesterklang war ebensowenig Thema wie die hervorragenden sängerischen Leistungen und die fesselnden Bilder, die sich auf der Bühne ergaben.