BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik: Tschaikowskys "Pique Dame" Düsteres Operndrama in Leipzig

Angst hielt Russland schon lange vor Putin im Würgegriff, wie in den Werken von Mussorgsky, Tschaikowsky und Schostakowitsch eindrucksvoll deutlich wird. Deshalb schützen sich viele Untertanen mit Lebenslügen oder Wahnsinn, auch in Puschkins populärer Gespenstergeschichte "Pique Dame". Lorenzo Fioroni inszenierte sie so erschütternd wie traurig an der Oper Leipzig. Ein furioser Tschaikowsky-Abend.

Tschaikowskys "Pique Dame" an der Oper Leipzig | Bildquelle: © Kirsten Nijhof

Bildquelle: © Kirsten Nijhof

In Russland ist nichts, wie es scheint, wusste der französische Reiseschriftsteller Astolphe de Custine schon vor 200 Jahren: Alles nur Fassade, und hinter einer Fassade steht eine weitere. Für Westeuropäer ist das zum Verrücktwerden, diese russische Undurchsichtigkeit, diese höchst verschwommene Realität, die unter Putin so wenig durchschaubar ist wie unter den Zaren. Der naheliegende Grund dafür wird bei Tschaikowsky ebenso deutlich wie bei Schostakowitsch: Angst. Die hält Russland und die Russen offenbar im Innersten zusammen, jedenfalls ist in der "Pique Dame", uraufgeführt 1890, ständig von Angst die Rede.

Russische Fassade entlarvt

Insofern war es sehr plausibel, dass der aus Locarno stammende Schweizer Regisseur Lorenzo Fioroni in seiner Inszenierung an der Oper Leipzig beides zum zentralen Thema machte: Die allgegenwärtige Angst und den fatalen russischen Hang zum schönen Schein, zur Verstellung, zum Blenden. Realität und Rausch, Tag und Nacht, Wirklichkeit und Traum sind in diesem Fall nicht voneinander zu unterscheiden. Wie auch: Hermann und Lisa, das unglückliche Liebespaar, spritzen sich Heroin ins Blut und kapitulieren vor dem russischen Irrsinn. Gut, dass Lorenzo Fioroni nicht aufdringlich Putin und seinen Angriffskrieg geißelte, es verstand auch so jeder, was gemeint war.

Inszenierung der Realität auf der Opernbühne

Tschaikowskys "Pique Dame" an der Oper Leipzig | Bildquelle: © Kirsten Nijhof Bildquelle: © Kirsten Nijhof In einem trostlosen, schlammigen Weinberg tobt ein Krieg, Hermann ist ein traumatisierter Veteran. Die feine Gesellschaft schert sich nicht um die Gefallenen und ihre Gräber, sie feiert weiter Feste und hängt am falschen Ruhm der Vergangenheit. Die Militärkadetten, allesamt noch Kinder, brüllen derweil Kriegslieder und drohen den Feinden. Zum Verrücktwerden, in der Tat! Bühnenbildner Sebastian Hannak hatte sich übrigens 32 alte, ausgemusterte Weinstöcke aus der Region Saale-Unstrut besorgt. Vor zwei Jahren haben die noch Reben getragen, die für genau 55 Flaschen reichten. Dieser Wein wurde während der Premieren-Pause serviert. Was für ein Gleichnis: In Russland reift nichts mehr, es bleiben nur noch Gräber und Wahnsinn.

Tschaikowsky-Abend sorgt beim Publikum für unterschiedliche Reaktionen

Die Zarin, die in der "Pique Dame" einen stummen Auftritt hat, lässt sich in diesem Fall nicht blicken: Ihr Sarg, der hereingeschleppt wird, ist leer. Die ganze vergnügungssüchtige St. Petersburger Oligarchen-Gesellschaft versinkt in der Erde. Ein Untergangs-Drama, eine einzige, sehr überzeugend bebilderte russische Raunacht, für die es viel Beifall gab, allerdings auch ein paar Protestrufe.

Furiose "Pique Dame" mit Spielfreude

Tschaikowskys "Pique Dame" an der Oper Leipzig | Bildquelle: © Kirsten Nijhof Bildquelle: © Kirsten Nijhof Bemerkenswert, dass außer Dirigentin Anna Skyleva, die seit 26 Jahren in Deutschland lebt, kein einziger russischer Künstler beteiligt war. Skyleva legte einen melancholischen Grauschleier über den Abend, bei der Emotionalität bremste sie. Besonderes Interesse verdiente Chorleiter Thomas Eitler de Lint, der im Sommer erstmals den Bayreuther Festspielchor leiten wird. Wenn er das so furios macht, wie es in Leipzig zu hören war, ist das eine gute Nachricht. Da stimmten alle Einsätze, da begeisterte die Spielfreude, da überzeugte die innere Anteilnahme aller Choristen.

Russland scheint verloren

Unter den Solisten ragte der Finne Tuomas Pursio als Graf Tomskij heraus mit seinem warmen, volltönenden Bass-Bariton. Brenden Gunnell als Hermann und die französische Sopranistin Solen Mainguené als Lisa spielten sehr stark, ja aufwühlend, waren stimmlich aber streckenweise etwas zu passiv. Überraschend, dass Ulrike Schneider in der Titelrolle der "Pique Dame" mal nicht als spukhafte Mumie auftreten musste, sondern als vergleichsweise jung gebliebene, aber tief resignierte Blondine. Auch hier: Alles Fassade! Ein großartiger, so trauriger wie erschütternder Tschaikowsky-Abend. Russland scheint verloren, egal, wie seine Kriege ausgehen.

Sendung: "Allegro" am 12. Mai 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Bitte geben Sie höchstens 1000 Zeichen ein. (noch Zeichen)
Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar vor der Veröffentlichung erst noch redaktionell geprüft wird. Hinweise zum Kommentieren finden Sie in den Kommentar-Richtlinien.

Spamschutz*

Bitte geben Sie das Ergebnis der folgenden Aufgabe in Ziffernschreibweise ein:

Sechs plus zwei ergibt?
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player