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Paul McCartney wird 80 Avantgardist mit Pop-Appeal

Seit sechs Jahrzehnten ist er ein Weltstar. Schrieb Songs, die auch einem Cole Porter alle Ehre gemacht hätten, ließ sich dabei von Karlheinz Stockhausen inspirieren und verband wie kein anderer Avantgardistisches mit Pop-Appeal. Auf sein Konto gehen ewige Hits wie "Yesterday", "Blackbird" oder "Hey Jude". Am Samstag wird der Ex-Beatle Sir Paul McCartney 80 Jahre alt.

Paul McCartney bei einem Auftritt im jahr 2017 | Bildquelle: picture alliance

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So unverschämt jung wie noch bei seiner Tournee im Jahr 2016, als er auch im ausverkauften Olympiastadion in München Station machte, wirkt Paul McCartney auf im Internet kursierenden Videos von seiner aktuellen USA-Tournee selbstverständlich nicht mehr. Und dennoch: Noch immer macht er, schlank und rank, mit Weste und weißem Hemd eine bestechend gute Figur. Gleich ob am Bass, der akustischen Gitarre, E-Gitarre oder Klavier.

Authentizität und Autorität

Die Beatles im Jahr 1963 | Bildquelle: picture alliance The Beatles: Die vier "Pilzköpfe" im Jahr 1963, ganz links Paul McCartney | Bildquelle: picture alliance Stimmlich ist er inzwischen, ganz im Unterschied zur Tournee 2016, ein wenig brüchig geworden. Aber wenn er – völlig allein – seinen hochpoetischen Song "Blackbird" zur akustischen Gitarre singt, ist das immer noch ein fesselnder Moment. Eine starke, wie selbstverständliche Präsenz hat dieser ungemein erfolgreiche Liederschreiber und Interpret auch mit 80 Jahren.

Autorität und einfach bestechende Authentizität strahlt er aus, wenn er am Klavier "Hey Jude" singt oder von seinem E-Bass aus durch die unterschiedlichen Stimmungszustände des Songs "Band On The Run" führt. Da mag die Stimme bei sehr hohen, energischen Passagen schon mal an den Klang einer mittelschweren Erkältung erinnern – von Paul McCartney mag man das noch hören. Oder mindestens: Sehr viele mögen es noch hören.

Paul McCartney: Sanfter Poet, wilder Röhrer

Paul McCartney, geboren am 18. Juni 1942 in Liverpool, ist, man kann es vielleicht nicht anders sagen, ein Wunder. Einer, der, wie es scheint, fast alles kann. Er hat eine Chamäleon-Stimme, die völlig unterschiedliche Farben annehmen kann, vom zarten Schwelgen bis hin zum beinharten Rockgesang.

Er spielt die unterschiedlichsten Instrumente flüssig und elegant – auf der "Wings"-Platte "Band On The Run" von 1973 sogar bewundernswert Schlagzeug; und von Beatles-Zeiten bis heute natürlich immer wieder jenen Linkshänder-Bass, dessen Korpus an den einer Geige erinnert und der von einer Firma aus dem fränkischen Bubenreuth bei Erlangen stammt. Darüber hinaus ist Paul McCartney auch ein Musiker, der viel augenzwinkernden Humor in Songs aufblitzen lässt – etwa in der Country-Moritat "Rocky Raccoon", in der swingenden Music-Hall-Hommage "Honey Pie" oder auch in dem gern geschmähten, von jamaikanischer Musik beeinflussten Ohrwurm "Ob-La-Di, Ob-La-Da".

Fan von Karlheinz Stockhausen

1967 in den Abbey Road Studios bei den Aufnahmen von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band | Bildquelle: Apple Corps Ltd./BR Paul McCartney in den 1960er-Jahren bei den Aufnahmen von "Stg. Pepper" | Bildquelle: Apple Corps Ltd./BR Ein Sonnyboy mit ganz vielen Ausnahme-Begabungen – dafür könnte man ihn halten. Doch das ist nur das halbe Bild eines Musikers und Songschreibers mit höchst unterschiedlichen Facetten. Beatles-Verehrer stellten McCartney und seinen Kompagnon John Lennon oft als Antipoden dar: John, der scharfsinnige Intellektuelle und aufmüpfige Avantgardist, Paul, der Schöne, Freundliche mit dem Sinn für Melodien, die man nachpfeifen kann. Wie aber der Produzent George Martin geschildert hat, unter anderem 1994 in dem Buch "Summer of Love", trafen solche Klischees ganz und gar nicht zu.

In musikalischer Hinsicht war John Lennon Martin zufolge ein ziemlich konservativer Rock'n'Roller – und Paul McCartney derjenige, der avantgardistische Ideen mitbrachte. McCartney interessierte sich zur Zeit der Aufnahmen von "Sgt. Pepper" in den 1960er-Jahren besonders für zeitgenössische klassische Musik, nicht zuletzt für den deutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen, aber auch für den Amerikaner John Cage und den Italiener Luciano Berio.

24 Takte, die Geschichte machten

McCartney war es auch, der das berühmte 40-sekündige Orchester-Crescendo in dem Song "A Day In The Life" anregte. Die Grundidee, dass hier alle Orchestermusiker leise auf dem niedrigsten Ton ihres Instruments beginnen und sich dann – spiralförmig und Intensität sowie Lautstärke steigernd – bis zum höchsten Ton hochwinden, stammte von ihm. John Cage hätte sie gefallen. Das Ergebnis jedenfalls: eine monumentale Klangmasse, wie man sie vorher mindestens in der Pop-Musik nie gehört hatte. Ein orchestrales Cluster voller ungeahnter Reibungshitze. 24 Takte, die Geschichte machten.

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A Day In The Life | Bildquelle: The Beatles - Topic (via YouTube)

A Day In The Life

Über Paul McCartney und das, was diesen Musiker kennzeichnet, schrieb George Martin die folgenden spannenden Zeilen: "In Wirklichkeit war er genauso ein Rocker wie John, der wiederum in seinen Liebesliedern mindestens so sentimental sein konnte wie Paul. (…) Paul hatte ein einmaliges Talent zum Melodienschreiben. Sie sprudelten scheinbar mühelos aus ihm heraus. Immer wieder begeisterten mich seine wunderschönen neuen Melodien mit ihren interessanten Harmonien, und ich fragte mich oft, wo die wohl immer herkamen. Seltsamerweise wusste Paul das auch nie so recht."

3.000 mal gecovert: der Song "Yesterday"

Es verwundert nicht, dass ein Stück wie "Yesterday" zum meistgespielten Popsong aller Zeiten wurde – mit bis heute über 3.000 veröffentlichten Versionen mit Interpreten, die von Ray Charles über Frank Sinatra bis hin zu den Drei Tenören (Luciano Pavarotti, José Carreras und Placido Domingo) reichen. Denn dieses Lied verfügt über Zutaten, die nur durch bestes Songwriter-Handwerk zustande kommen konnten: eine zugleich ungemein logisch aus einem zweitönigen, immer wiederkehrenden Grundmotiv aufgebaute Melodie, einen überraschend kontrastierenden zweiten Melodieteil – und Harmonien, die mit selbstverständlicher Wendigkeit durch Dur- und Moll-Passagen führen. Ein einfacher, aber nirgends simpler Song, der sich auch durch eine verblüffende Natürlichkeit auszeichnet.

"Yesterday" wäre möglicherweise nicht der ewige Hit geworden, als den man ihn kennt, wenn er den Titel behalten hätte, den McCartney beim Komponieren der Melodie als Arbeitstitel mit sich herumtrug: "Scrambled Eggs" (Rühreier). Mit dem bekannten Text, der von einer beendeten Liebe und der Sehnsucht nach vergangenen gemeinsamen Zeiten erzählt, schmiegte sich die Musik wohl doch leichter ins Gemüt von Millionen Hörerinnen und Hörern.

McCartneys Meisterwerk "Blackbird"

Viele von McCartneys Songs haben eine Eleganz, die durchaus mit derjenigen des großen amerikanischen Musical- und Songkomponisten Cole Porter vergleichbar ist. Durch kleine harmonische und melodische Kniffe weichen sie ab von allzu naheliegenden Mustern. Dadurch sind sie auch für andere Interpreten so interessant. Diese Kniffe steigern die Herausforderung und auch den Spaß, den Musikerinnen und Musiker beim Nachspielen haben. Viele von McCartneys Songs werden gerne von Jazzerinnen und Jazzern gecovert. "I will" von 1968 ist so ein Beispiel. Vor allem aber "Blackbird", das möglicherweise beste Lied, das McCartney ja geschrieben hat.

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Hiromi - Blackbird (Official Audio) | Bildquelle: Concord Records (via YouTube)

Hiromi - Blackbird (Official Audio)

In "Blackbird" überrascht die Stimmführung auf der Gitarre, mit wandernden Bässen und raffiniert ineinandergeführten Harmonien. Und auch die Intervallsprünge der Melodie sind ungewöhnlich. Dass dieser Song von 1968 auch noch eine versteckte politische Botschaft hat, inspiriert von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und mit der titelgebenden Amsel als Metapher für eine diskriminierte afroamerikanische Frau, zeigt ebenfalls, wie leicht man McCartney unterschätzen kann. Nicht nur seine Melodien und Harmonien sind bemerkenswert, sondern auch seine Texte besitzen subtilen Tiefgang.

Paul McCartney: Besser als die Beatles?

Absolut verdient also ist es, dass dieser einstige Liverpooler Lausejunge und Jung-Superstar der Sechziger in den Olymp des Pops aufgestiegen und so lange dort oben geblieben ist. Auch nach der Zeit der Beatles, also seit 1970, hat Paul McCartney hervorragende Lieder geschrieben und so starke Platten wie "Band On The Run", "Tug Of War", "Flaming Pie" oder "New" veröffentlicht. In seinen Tourneen seit den 1980er-Jahren spielten er und seine Mitmusiker*innen stets neue Kompositionen und Beatles-Klassiker – letztere dabei technisch so perfekt, wie es die Original-Beatles live gar nicht gekonnt hätten.

Die 64 Jahre, die er einst in seinem Lied "When I'm Sixty-Four" besang, hat er längst überschritten, um 16 Jahre mittlerweile. Und der Song ist auch schon 55 Jahre alt. "Will you still need me, will you still feed me?" – Diese Zeile beantworten seine Fans jedoch auch heute noch vermutlich uneingeschränkt mit "Ja". Und zumindest imaginär senden sie ihm die auch in dem betreffenden Liedertext enthaltenen "Birthday greetings, bottle of wine" zum unerwartet schnell herbeigeeilten Achtzigsten. Have a great celebration, Sir James Paul McCartney!

Sendung: "Jazz und mehr" am 18. Juni 2022 ab 18:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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