BR-KLASSIK

Wer in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli in Bayreuth eine Übernachtungsmöglichkeit finden möchte, der tut sich sehr schwer. Da eröffnen traditionellerweise die Richard-Wagner-Festspiele und dann kommen in der fränkischen Stadt schon mal die Prominenz und Weihnachten und Ostern zusammen. In diesem Jahr ganz besonders, weil der "Parsifal" den Auftakt macht. Was den heuer wirklich ganz neu macht? Eine Vorschau.

Wenn man sie aufzieht, sieht man aus wie der kleine Bruder oder die kleine Schwester von Superheld Batman: Die AR-Brillen sind definitiv der letzte Schrei bei der neuen "Parsifal"-Inszenierung von Regisseur Jay Scheib. AR-heißt "Augmented Reality" - und eine solche Brille eröffnet dem Träger eine virtuelle Ebene, ohne dass dabei das tatsächliche Bühnengeschehen verdeckt wird.

Digitale Erweiterung des Wagner-Gesamtkunstwerks

In schwarzen Stoffbeuteln verstaut hängen 330 Exemplare an den legendären Holzklappstühlen im Festspielhaus. Hightech meets Wagner-Askese zum Zwecke eines Gesamtkunstwerks im 21. Jahrhundert! Jay Scheib hat Richard Wagners vielzitierte Idee von Bayreuth als "Laboratorium", als "Werkstatt" beim Wort genommen und fügt der "Parsifal"-Geschichte so eine weitere Dimension hinzu. Und das nicht nur im magischen Zaubergarten von Klingsor, nein! Dinge tauchen auf oder Figuren, erzählt Jay Scheib, manchmal sei es sehr poetisch. Es gebe Visionen oder auch schockierende Träume. "Vier Stunden AR eröffnen eine Riesentraumwelt", meint der Regisseur.

Jay Scheib mit AR-Brille im Bayreuther Festspielhaus | Bildquelle: picture-alliance/dpa Wie man diese Traumwelt auf sich wirken lässt, bleibt einem selbst überlassen. Auf jeden Fall verschwimmt die Kluft zwischen Bühnenraum und Zuschauenden durch die technische Innovation. Schade nur, dass weniger als ein Sechstel der Besucherinnen und Besucher in den Genuss dieser Brillen kommen. Aber die Anschaffung war wohl teuer und kompliziert. Überhaupt muss man heuer zum ersten Mal in der Festspielgeschichte nicht nur via "AR", sondern auch ganz konkret einer neuen Realität ins Auge blicken: Der Kartenverkauf  - zwar nicht für den neuen "Parsifal", aber für einige andere Produktionen, ging zäher voran, als sich so manches Wagnermotiv entwickelt. Das gab es noch nie.

Pablo Heras-Casado ist auf dem Grünen Hügel "angekommen"

Musikalisch hingegen sind sich beim "Parsifal" alle grün, auf dem Grünen Hügel. Pablo Heras-Casado dirigiert zum ersten Mal im Festspielhaus. Wagners Musik hat er dort aber schon als Student kennen gelernt und es war "Liebe auf den ersten Ton" oder man könnte sagen, der Beginn einer Freundschaft fürs Leben.

Derek Welton singt den Gralskönig Amfortas. Und der leidet furchtbar an seiner Wunde, die partout nicht heilen will. Die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Heras-Casado ist aber das komplette Gegenteil. "Mit Pablo habe ich das Gefühl, dass diese Musik immer live ist", sagt Welton, "wir reagieren immer aufeinander". Und so gebe es eine nahe Verbindung zwischen der Bühne und dem Orchestergraben.

Andreas Schager als Siegfried und Parsifal

Andreas Schager: dieses Jahr auch als Parsifal im Einsatz | Bildquelle: © David Jerusalem Wie auch in anderen Opern in diesem Bayreuther Festspielsommer, gab es beim "Parsifal" Umbesetzungen: Andreas Schager ist darum nicht "nur" als furchtloser Held Siegfried im "Ring" unterwegs. Er ist zudem vor zwei Wochen als Antiheld "Parsifal“ zu Jay Scheibs Produktion gestoßen. "Ich hatte ja das Glück", so der Tenor, "Parsifal schon hier gesungen zu haben, das heißt, ich bin bestens vertraut mit den akustischen Gegebenheiten".

Was Regisseur Scheib besonders am Herzen liegt bei der Figur des tollpatschigen Parsifal, das hat er Andreas Schager in einem mehrseitigen handgeschriebenen Brief zukommen lassen: "Parsifal ist keiner, der sich sein Wissen in der Schule oder durch Bücher oder sonst was angeeignet hat, sondern durch Empathie."

Kurzfristig eingesprungen: Elina Garanča

Elina Garanča feiert heuer ihr Bayreuth-Debüt | Bildquelle: Christoph Köstlin Mit Spannung wird erwartet, wie sich Elina Garanča ins "Parsifal"-Team einfügt. Für die Rolle der Kundry ist die Mezzosopranistin kurzfristig eingesprungen und übernimmt die Partie zur Premiere. Sie kennt die Rolle des verführerischen Zauberweibs gut, stand erst vor Kurzem in Wien als Kundry auf der Bühne. Aber die besonderen Gegebenheiten im hölzernen Festspielhaus von Bayreuth, mit diesem verdeckten Orchestergraben, die sind ihr NOCH nicht vertraut.

Es sind definitiv keine ausgetretenen Pfade, auf denen dieser Parsifal spazieren wird. Und selbst wenn die AR-Brillen nicht für alle reichen, um Raum und Zeit verschmelzen zu lassen, bleiben genügend menschliche, allzu menschliche Wunden, in denen Jay Scheib mit seiner Inszenierung bohren wird: "Man lernt ziemlich schnell im 'Parsifal', dass jeder irgendein Loch im Herz hat. Man kann überall nach einer Lösung suchen, aber letztendlich versteht man: Ich bin das Problem."