Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks feiert seinen 70. Geburtstag. Startschuss war der 1. Juli 1949. Grund genug, ein wenig in der Orchestergeschichte zurückzublättern. Der Auftrag des Bayerischen Rundfunks, ein eigenes Symphonieorchester zu gründen, ging an den damailigen Hamburger Generalmusikdirektor Eugen Jochum. Mit Mariss Jansons steht heute mittlerweile der fünfte Chefdirigent am Pult des Orchesters. BR-KLASSIK stellt diese so unterschiedlichen Persönlichkeiten vor.
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Eugen Jochum dirigiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. | Bildquelle: BR / Historisches Archiv, Foto: Werner Neumeister
Der Gründungsvater ist bayerisch-schwäbisches Urgestein: Eugen Jochum, Jahrgang 1902, stammt aus einem katholischen Elternhaus. Er will zunächst Kirchenmusiker werden, absolviert dann aber die Ochsentour durchs deutsche Stadttheater und macht schnell als Operndirigent Karriere. In München arbeitet Jochum hart mit seinen Musikern und legt so das Fundament für das Weltniveau des Symphonieorchesters. Auch der Chor des Bayerischen Rundfunks profitiert von seinem urwüchsigen Temperament bei den Aufführungen und Proben.
Am Schluss muss noch a bissl mehr Weihnachten werden!
Der Protestant Bach und der Katholik Bruckner – das waren Jochums Hausgötter. In seiner Münchner Chefdirigentenzeit entwickelt er sich zu einem bekannten Bruckner-Spezialisten. Neben Klassik und Romantik dirigiert er bei der musica viva auch Nachkriegs-Moderne. 1960 verlässt er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, um seine Karriere bis zum seinem Tod 1987 international auszubauen. Eugen Jochum war ein Kapellmeister von altem Schrot und Korn – mit nie nachlassender Energie hat er eine Hundertschaft verstreuter Musiker zu einem Spitzen-Kollektiv zusammengeschweißt.
Rafael Kubelík und Eugen Jochum | Bildquelle: BR
Noch heute schwärmen ältere Orchestermitglieder von der Zusammenarbeit mit Rafael Kubelík – von seinem Temperament, seiner Musizierfreude, seiner Aufrichtigkeit. 1914 bei Prag geboren, wird Kubelík als junger Dirigent Chef der Tschechischen Philharmonie. Später kehrt der politisch unbeugsame Kubelík dem kommunistischen Regime den Rücken, macht in Europa und Amerika Karriere. 1961 beginnt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die goldene Ära Kubelík – fast zwanzig Jahre sollte die künstlerische Ehe halten. Nie ruht sich Kubelík auf Bewährtem aus, den Münchnern bringt er viel tschechisches Repertoire, auch die musica viva ist ihm ein echtes Anliegen.
Das ist eben das ewige Suchen des Künstlers, der nie aufhören kann. Und das ist sein Leben – nicht das Finden.
Kein Wunder, dass Kubelík auf seiner Suche bei Gustav Mahler fündig wird – eine Entdeckung für ihn. Seine Gesamtaufnahme mit dem Symphonieorchester des BR trägt zur Mahler-Renaissance bei. Mehrfach dirigiert Kubelík mit dem Orchester Smetanas "Vaterland" – sein Schicksalsstück, mit dem er schon 1946 das von ihm gegründete Festival "Prager Frühling" eröffnet hat. In seinem universellen Musikverständnis wurde Rafael Kubelík, der 1996 starb, zum prägenden Kopf des Symphonieorchesters.
Sir Colin Davis | Bildquelle: BR
Nachdem Rafael Kubelík 1979 ausgeschieden war, schien mit Kirill Kondraschin ein perfekter Nachfolger gefunden – doch der russische Dirigent starb noch vor Amtsantritt, so dass die Chefposition beim Symphonieorchester erst 1983 wieder besetzt werden konnte: mit dem Briten Sir Colin Davis. Die Musik von Hector Berlioz wird für Colin Davis zum Erweckungserlebnis: Eine Londoner Aufführung von "L’Enfance du Christ" bestärkt den 21-Jährigen in seinem Entschluss, die Klarinette gegen den Taktstock zu vertauschen – ein steiniger Weg für den Autodidakten. Aber der 1927 geborene Davis arbeitet sich an die Spitze renommierter Orchester in London und Dresden hoch. Da kommt das verlockende Angebot aus München gerade recht: 1983 übernimmt Davis den verwaisten Chefposten beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das immer schon mehr als glatte Perfektion zu bieten hatte.
Es ist nicht die Virtuosität, die man hie und da in Amerika hört. Der Klang bleibt menschlich.
In dieser Hinsicht kann Davis auf das Erbe Rafael Kubelíks bauen. Und was Kubelík für die Wiederentdeckung Mahlers geleistet hat, setzt Davis mit Berlioz fort. Daneben bringt er den Münchnern viel englisches Repertoire – und bricht eine Lanze für Sibelius. Seine Ära beim Symphonierochester des BR beschließt er 1992 mit dem Stück, mit dem er sie eröffnet hat: mit Beethovens "Missa solemnis". Sir Colin, 2013 in London gestorben, war ein leidenschaftlicher Musiker und wahrer Gentleman, uneitel am Pult und von spontaner Herzlichkeit.
Lorin Maazel | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Ein Jahr nach dem Abschied von Colin Davis 1992 tritt der amerikanische Pultstar Lorin Maazel als vierter Chefdirigent beim Symphonieorchester an. Die spektakuläre Karriere von Lorin Maazel beginnt früh: Mit acht steht "Little Maazel" zum ersten Mal vor einem Orchester. Aus dem 1930 geborenen Wunderkind wird ein Weltstar. Keiner schlägt den Takt so elegant wie er, meist dirigiert er auswendig. Maazel spricht sieben Sprachen und genießt den Status als Jetset-Dirigent mit globaler Präsenz. Neue Zeiten brechen auch beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks an, als Maazel 1993 Chefdirigent wird: Mit ihm steht einer am Pult, der genau weiß, was er will – und wie er es bekommt.
Autorität kann man in der heutigen Welt nicht verlangen. Entweder hat man das und ist respektiert für sein Können – oder nicht.
Mit amerikanischer Professionalität trimmt Maazel das Symphonieorchester auf technische Perfektion. Er poliert vor allem das Kernrepertoire auf Hochglanz, das er auf ausgedehnten Tourneen präsentiert. Seine Komponisten-Zyklen sind legendär: Beethoven, Brahms, Bruckner, Mahler und Strauss auf einen Streich! Auch der Impressionismus ist bei Maazel in besten Händen. Am Ende seiner Münchner Ära 2002 ist das Symphonieorchester des BR eine feste Größe im internationalen Konzertbetrieb. 2014 stirbt der Alleskönner Lorin Maazel, auch als Geiger und Komponist erfolgreich, in den USA.
Mariss Jansons | Bildquelle: BR Peter Meisel
1995 debütiert Mariss Jansons mit Mahlers Fünfter beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Schon nach wenigen gemeinsamen Auftritten gewinnen die Musiker Jansons 2003 als fünften Chefdirigenten. Da war der 1943 in Riga geborene Jansons längst vom Geheimtipp zum weltweit gefeierten Pultstar aufgestiegen. Vor allem seine Ära bei den Osloer Philharmonikern begründet seinen Ruhm. In seiner Person fanden die Musiker Kubelíks Leidenschaft und Maazels Präzision vereint. Und Jansons traf auf ein hochmotiviertes, hochqualifiziertes Orchester.
Mit meinem Orchester, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, kann ich wirklich auf einem sehr hohen musikalischen Niveau arbeiten.
Mit dem Symphonieorchester erarbeitete Jansons Musik von Joseph Haydn bis Wolfgang Rihm. Sein Idol aber bleibt Dmitrij Schostakowitsch – einen Großteil seiner preisgekrönten Schostakowitsch-Gesamtaufnahme hat Jansons mit dem Symphonieorchester des BR eingespielt. Auf weltweiten Tourneen steigert er das Renommee seines Orchesters. Daheim in München aber kämpft Jansons unermüdlich für einen akustisch idealen Saal. Dass das Konzerthaus-Projekt im Werksviertel auf den Weg gebracht wurde, ist vor allem das Verdienst von Mariss Jansons.
Sendungen: "Allegro" vom 24. bis 28 Juni 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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