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Jazzmusiker Freddie Keppard Der König, der seine Chance verpasste

Der fast vergessene Kornettist Freddie Keppard war für kurze Zeit König des Jazz: Ein Naturtalent, das keine Noten Noten lesen konnte. Das Angebot, als einer der ersten überhaupt, ein Platte einzuspielen, schlug er 1916 aus.

CD Cover Freddie Keppard | Bildquelle: Retrieval

Bildquelle: Retrieval

Der legendäre "King" Keppard gilt als jazzgeschichtliches Bindeglied zwischen dem sagenumwobenen Buddy Bolden, von dem keine Aufnahmen existieren, und King Oliver, dem Vorläufer und Mentor Louis Armstrongs. "Ich kenne keinen, der Keppard schlagen konnte – sein Tonumfang war so außergewöhnlich, sowohl nach oben als auch nach unten. Er besaß mehr Phantasie und hatte einen besseren Ton als jeder andere", schwärmte der Jazzpionier Jelly Roll Morton. Laut Zeitzeugen blies er auch mit mehr Power als jeder andere und war mit seiner Acht-Mann-Band ebenso laut war wie eine ganze Militärkapelle.

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Freddie Keppard Plays "High Fever"

Die unaufgenommene Glanzzeit

Fredde Keppard wurde 1890 in New Orleans, der Wiege des Jazz, geboren. Sein älterer Bruder war der Gitarrist und Tubaspieler Louis Keppard. Beide machten, von der Mutter unterwiesen, ihre ersten Schritte auf Saiteninstrumenten: Freddie auf der Mandoline, Louis auf der Gitarre. Freddie spielte auch Violine und Akkordeon, bevor er zum Kornett wechselte und ausschließlich bei diesem Instrument blieb. Er war kein Autodidakt, denn wir wissen den Namen seines Lehrers: Adolphe Alexander. Von 1906 bis 1912 leitete Keppard eine eigene Formation: Das Olympia Orchestra, mit der er sich den Ruf des alle überragenden Kornettisten erwarb. Seine Musik beeindruckte den blutjungen Louis Armstrong im Waisenhaus: "Die Luft war schwer vom Duft des Geißblattes. Wie ich diesen Duft liebte. An ruhigen Sonntagabenden, wenn ich auf meiner Pritsche lag und zuhörte, wie Freddie Keppard und seine Jazzband etwa eine halbe Meile entfernt für reiche Weiße spielten, stieg mir der köstliche Duft in die Nase", erinnerte sich Armstrong, der dieses Erlebnis als "Himmel auf Erden für ein Kind meines Alters" bezeichnete.

Spätere Aufnahmen geben Aufschluss

Joe 'King Oliver und seine Jazz-Band / Foto 1923 Oliver, Joe 'King' US-amerikan. Kornettist (New Orleans Jazz-Musiker); 11.5.1885 New Orleans (Louisiana) - 10.4.1938 Savannah (Georgia). - Joe 'King' Oliver (Mitte) mit seiner 1922 gegründeten 'King's Oliver's Creole Jazz Band' (v.l., 'Baby' Dodds, Horace Dubrey, Bill Johnson, Louis Armstrong, Johnny Dodds und Lillian Hardin Armstrong) | Bildquelle: picture alliance / akg-images | akg-images Bildquelle: picture alliance / akg-images | akg-images Zweimal wurde King Oliver der Nachfolger Keppards, seines größten Rivalen. Als Keppard 1912 die Leitung des Olympia Orchestras an Armand Piron übertrug, wurde King Oliver der Kornettist der Band. Um sich Bill Johnson‘s Original Creole Band anzuschließen, zog Keppard nach L. A., wo die Band die Musik im Westen verbreitete. Keppard wurde ihr Co-Leader, dann bis 1918 ihr Leiter. Später kam der vorige Leiter Bill Johnson und damit der Name "Creole Jazz Band" zu King Oliver.  Leider hat Keppard nie mit seinem Olympia Orchestra und seiner Creole Band Aufnahmen gemacht. Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. So war er einer der ersten Jazztrompeter, die in Chicago und New York zu hören waren, als die Creole Jazz Band dort 1915 auftrat. Um sich einen Eindruck von seinem kraftvollen Spiel zu verschaffen, muss man sich also mit späteren Platten behelfen, etwa mit "Messin‘ Around" von 1926 mit Cookie‘s Gingersnaps.

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Cookie's Gingersnaps - MESSING AROUND

Die große Furcht, kopiertzu werden

Keppard konnte keine Noten lesen und hielt dies geheim, indem er die anderen zuerst die Melodie spielen ließ. Jelly Roll Morton erzählte: "Er täuschte Ventilprobleme vor und befingerte die Klappen, schüttelte das Instrument und saß es aus; währenddessen hörte er zu. Wenn jemand ihn herausforderte, sagte er: ‚Mach nur, ich werde meinen Part schon spielen!‘ Beim nächsten Mal nahm er dann sein Instrument und spielte einwandfrei bis zum Schluss."

Bei Auftritten soll er seine Finger mit einem Taschentuch bedeckt haben – wovon womöglich Armstrongs Gewohnheit herrührt, mit einem Taschentuch aufzutreten.

Ich bin doch nicht blöd, meine Ideen auf Platte zu bannen, damit sie jeder kopieren kann
(Freddie Keppard)

Mutt Carey, ein Trompeter aus New Orleans, der ein Jahr jünger war als Keppard, erklärte: "Eine Zeitlang war Freddie Keppard in New Orleans der Größte. Er war König und trug die Krone. Er hatte eine Menge Ideen, einen großen Ton und eine sichere Technik. Er war ein Naturtalent, denn viel musikalische Erziehung hatte er nicht genossen. Er hätte genauso berühmt wie Louis werden können, denn er hatte als erster die Chance, Schallplattenaufnahmen zu machen. Aber er wollte es nicht, weil er Angst hatte, die anderen Musiker könnten ihm seine Sachen stehlen."

In der Tat enstanden Freddie Keppards wenige Aufnahmen, die alle auf eine einzige CD passen, erst von 1923 an - nach seiner Glanzzeit, als er schon bei schlechter Gesundheit war. Die Chance, die ersten Jazzplatten aufzunehmen, schlug der schwarze Musiker 1916 jedoch aus. "Ich bin doch nicht blöd, meine Ideen auf Platte zu bannen, damit sie jeder kopieren kann", soll Keppard gesagt haben. Die weiße Original Dixieland Jazzband machte dann 1917 die ersten Jazzaufnahmen.  Vielleicht hatte die Weigerung, Platten aufzunehmen, einen anderen Grund, denn es ist bezeugt, dass er 1919 New Yorker Kollegen gezeigt hat, wie man im New Orleans Stil spielt, was kaum geht ohne sein know- how preiszugeben.

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Freddie Keppard's Jazz Cardinals ∽ STOCK YARDS STRUT ∽ Chicago 1926

Keppards bestdokumentierte Zeit bei Doc Cook

Nach dem 1. Weltkrieg war Chicago Keppards Hauptquartier, auch wenn er von hier aus auch andere Städte bereiste. Von 1922 an arbeitete er mit Unterbrechungen fünf Jahre lang Jahre bei Doc Cook, der Musik studiert hatte – daher der durchaus echte Doktortitel – und ein großes Tanzorchester im Dreamland leitete. Mit ihm machte Keppard die meisten seiner Aufnahmen. Dort spielte er mit dem großen Klarinettisten Jimmie Noone, der auch sein Schwager war, etwa 1926 in "Here Comes the Hot Tamale Man", gemeint ist der Teigtaschenverkäufer.

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Freddie Keppard Plays "Here Comes The Hot Tamale Man"

Das traurige Ende als Verarmter Alkoholiker

Nur zwischen 1923 und 1927 machte Keppard Aufnahmen, und das nur sporadisch. Die meisten seiner Einspielungen dokumentieren ihn nur als Sideman, sie fanden teilweise unter miserablen technischen Bedingungen statt; zudem spielte er mit Musikern, die, abgesehen von Noone, ihm meist unterlegen waren oder keinen recht passenden Rahmen abgaben.

Ein verdammt feiner Kerl!
(Alberta Hunter)

Wenig mehr als zwei Dutzend Aufnahmen sind Keppards ganzes Vermächtnis. Sie entstanden, als er bereits der Trunksucht verfallen war und sollen laut Zeitzeugen nur ein fahler Abglanz seiner früheren Leistungen sein. Gegen Ende des Jahrzehntes erschien die Spielweise des Künstlers, den etwa Sidney Bechet und Jelly Roll Morton als einen der Größten bezeichneten, zunehmend altmodisch, vor allem, wenn man sie mit jener von Armstrong verglich. Dazu kam die schwierige wirtschaftliche Situation der Jahre nach dem Börsenkrach. Keppard trat selten auf und geriet in Vergessenheit. Er erkrankte an Tuberkulose und verstarb am 15. Juli 1933 als verarmter Alkoholiker 43-jährig in Chicago.  

Doch das Bild eines arroganten Großmauls und reizbaren Trinkers hat zuletzt zu einseitig die Erinnerung an ihn eingetrübt, wie die Worte der Blues-Sängerin Alberta Hunter zeigen: "Er war ein so feiner Kerl und angenehm im Umgang. Auch habe ich ihn nie betrunken gesehen. Ja, er war schon ein Fürst in seinem Reich und gab Anfängern immer gute Ratschläge. Er spielte immer in Hemdsärmeln. Ja wirklich, ein verdammt feiner Kerl!"  

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Jasper Taylor's State Street Boys / STOMP TIME BLUES / 1926

Sendungshinweis

11. Januar 2024: BR-Klassik, 23.05 – 0.00 All That Jazz: Eine Chronik des Jazz (37): "Chicago Blues" - Aufnahmen vom Januar 1924

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