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Johann Sebastian Bach Brandenburgisches Konzert Nr. 6

Johann Sebastian Bachs sechs Brandenburgische Konzerte gehören gattungstypisch zu den Concerti grossi, enthalten aber auch zahlreiche solistische Passagen, und jedes der Konzerte ist anders instrumentiert. Deshalb stellt ein jedes dieser Konzerte seine eigene klangliche Welt dar. Über die Besonderheiten des Konzerts Nr. 6 unterhielt sich Robert Jungwirth mit dem Geiger und Bratscher Rüdiger Lotter, dem Leiter der Hofkapelle München.

Komponist Johann Sebastian Bach | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Starke Stück zum Anhören

Die Besetzung des sechsten und letzten der Bach'schen Brandenburgischen Konzerte ist außergewöhnlich. Es gibt keine Bläser, keine Violinen und der Streicherklang wird von den tiefen Instrumenten, wie Bratschen, Celli und Gamben geprägt. Rüdiger Lotter sagt dazu: "Das Werk zeichnet sich natürlich erst mal dadurch aus, dass es kein Konzert im Sinne eines Orchesterkonzerts ist. Es ist Kammermusik mit zwei Bratschen, zwei Gamben und Basso Continuo, es fehlt also komplett eine ganze Farbe in diesem Ensemble. Und allgemein bei den Brandenburgischen Konzerten kann man sagen, dass die Idee des Konzertierens – der Wettstreit der Instrumente – stark im Vordergrund steht."

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Der Vanitas-Gedanke

Der Geiger und Leiter der Münchner Hofkapelle Rüdiger Lotter hat sich intensiv mit den Brandenburgischen Konzerten auseinandergesetzt und sie mit seinem Ensemble in Historischer Aufführungspraxis auch auf CD aufgenommen. Die dunkle Klangfarbe des  Konzerts Nr. 6 hat einen Bezug zu den sogenannten Funeral-Musiken, also Begräbnismusiken, wie sie um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Deutschland aufgeführt wurden. Bach verwendet die Klangfarbe als allegorische Anspielung auf den im Barock sehr verbreiteten Vanitas-Gedanken – des "Gedenke, Du bist sterblich" –, wie er sich beispielsweise auch in den Stillleben der Malerei zu dieser Zeit ausdrückt. "Alle sechs Brandenburgischen Konzerte sind doppeldeutig zu sehen", erklärt Rüdiger Lotter. "Das ist alles formal, gleichzeitig aber auch allegorisch gedacht. Nummer sechs ist im dem Kontext der Huldigung an den Markgrafen zu sehen wie die anderen fünf auch. Das ist der Grund, warum alle Brandenburgischen Konzerte Eigenheiten haben, die über das rein Musikalische hinausweisen: Das sechste ist aus meiner Sicht mit dem Vanitas–Gedanken verbunden, Vergänglichkeit, deswegen auch die Besetzung. Trotzdem muss Vergänglichkeit nicht nur traurig sein."

Das Brandenburgische Konzert Nr. 6 ist solistisch besetzt und wird meistens auch so aufgeführt.
Rüdiger Lotter

Der Virtuosität und Lebendigkeit des ersten und dritten Satzes tut dieser Bezug zu Tod und Endlichkeit auch keinen Abbruch. Im Gegenteil, hier fordert Bach eine hohe technische Perfektion jedes einzelnen Musikers. Auch deshalb hält Rüdiger Lotter eine große Orchesterbesetzung für ungeeignet für dieses Werk: "Also bei den Brandenburgischen Konzerten bin ich der Ansicht, dass meistens ganz klar ist, wie die Besetzung sein muss. Beim sechsten ist es ganz offensichtlich, dass es einzeln gedacht ist, nicht als Gruppenstück, nicht als Orchesterwerk. Es ist solistisch besetzt und wird meistens auch so aufgeführt."

Nachträglicher Werktitel

Hofkapelle München | Bildquelle: Christine Schneider Photography Hofkapelle München | Bildquelle: Christine Schneider Photography Den Namen "Brandenburgische Konzerte" haben die sechs Werke dieser Gruppe nicht von Bach, sondern erst später von seinem Biographen Philipp Spitta erhalten. Bach hatte die Komposition mit "Six concerts avec plusieurs instruments" betitelt und sie 1721 dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg gewidmet, der sehr kunstsinnig war, selbst Cembalo spielte und in Berlin ein ausgezeichnetes Orchester unterhielt. "Das Besondere im ersten Satz ist ja diese kompositorische Meisterleistung, zwei Stimmen in einem Abstand von einem Achtel laufen zu lassen und so, dass es trotzdem immer harmonisch klingt", sagt Rüdiger Lotter über den Kopfsatz des sechsten Konzerts. "Das ist ein echter Kanon um ein Achtel versetzt, höchst virtuos komponiert und natürlich auch so zu spielen. Dabei ist natürlich extrem wichtig, dass beide Interpreten eine ähnliche Idee darüber haben, wie das zu spielen sei, denn sonst würde der Kanon gar nicht funktionieren. Und ganz wesentlich ist es, auf dem Grundpuls zu spielen, also alle Noten nach dem Grundpuls zu ordnen. Es gibt also einen wichtigen Impuls und alle anderen Noten ordnen sich dem unter. Das ist wie in der Sprache beim Jambus oder Daktylus. Da hat man auch einen Impuls und zwei nachgeordnete Silben."

Jedes Konzert ein eigener Charakter

Wann die sechs Konzerte BWV 1046–1051 genau komponiert wurden, darüber herrscht in der Forschung Uneinigkeit, da Bach auch zum Teil auf früher entstandene Werke zurückgegriffen und diese bearbeitet hat. Fest steht, dass die Werke eine große Bandbreite an musikalischen Ausdrucksformen, Spieltechniken und Besetzungen beinhalten und jedes Konzert einen ganz eigenen Charakter besitzt – mit jeweils einer direkten oder versteckten Anspielung auf den Markgrafen.

Walking Bass im Cello

Der zweite Satz dieses sechsten Konzerts – traditionell im Adagio – ist ein inniger Gesang der beiden Bratschen, gedankenvoll, ja meditativ. Er drückt den Vanitas-Gedanken am deutlichsten aus. "Im zweiten Satz vom sechsten Brandenburgischen Konzert kommen ausschließlich die beiden Bratschen zu Wort, die Gamben spielen da keine Rolle", erklärt Lotter. "Und das ist ein ganz enges Zwiegespräch dieser Instrumente, sehr kontemplativ mit diesem typischen Walking Bass, wenn man so möchte, im Cello – einfach sehr innig gespielt. Beide sagen das gleiche, aber auf verschiedene Weise und verbinden sich an verschiedenen Stellen immer wieder. Man kann es natürlich auch auffassen als Reflektion über das Leben, das ist natürlich immer sofort Interpretation. Aber die Assoziation bietet sich natürlich sehr an."

Gemeinsamer Puls

Rüdiger Lotter, Geiger und Leiter der Hofkapelle München | Bildquelle: Arne Schultz Rüdiger Lotter | Bildquelle: Arne Schultz In den schnellen Ecksätzen komme es sehr auf die richtige Betonung der rhetorischen Figuren an, so Rüdiger Lotter, um den Geist der Musik richtig zur Entfaltung zu bringen. Wichtig ist Lotter bei diesem Werk, dass die Mitglieder des Orchesters mit einem gemeinsamen Puls musizieren, damit sich die ganze Wirkung der Musik entfalten kann: "Bei den Proben der Brandenburgischen Konzerte und besonders beim sechsten war uns wichtig, dass die Motorik immer durchläuft. Wir haben da sehr viel mit Metronom gearbeitet, um Mikroprobleme des Rhythmus' außen vor zu lassen, dass der Puls wirklich immer steht und stimmt. Weil die Komposition aber in jedem der sechs Brandenburgischen Konzerte so engmaschig gefügt ist, ist es extrem wichtig, dass der gemeinsame Rhythmus, der gemeinsame Puls, stimmt, weil man die Komposition nur dann wirklich verstehen kann. Und der Riesenvorteil ist, dass, wenn alle denselben Puls spüren, dann sofort eine unglaubliche Präzision im Sinne eines gemeinsamen Schwingens vorhanden ist."

Musik-Info

Johann Sebastian Bach:
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B-Dur, BWV 1051


Hofkapelle München
Leitung: Rüdiger Lotter

Label: Deutsche Harmonia Mundi

Sendung: "Das starke Stück" am 12. Juni 2018, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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