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András Schiff über Kunst, Politik und Wunderkinder "Orbáns Rede war Goebbels würdig"

Für den Pianisten András Schiff lassen sich Kunst und Politik nicht trennen. Im großen Interview spricht er über seine Kindheit in Ungarn, Wunderkinder, Musikkritiker, den Umgang mit russischen Künstlerinnen und Künstlern wie Teodor Currentzis – und über Viktor Orbán, der seinen Rassismus hinter Codeworten versteckt

Pianist András Schiff  | Bildquelle: Nadia F Romanini

Bildquelle: Nadia F Romanini

BR-KLASSIK: Herr Schiff, Sie spielen hier in Salzburg Werke von Béla Bartók. Bartók musste ja seine ungarische Heimat verlassen, weil er sich gegen die faschistische Regierung gestellt hat in den 30er-Jahren. Bewegt Sie das Schicksal von Bartók?

András Schiff: Absolut. Er war sehr mutig. Bartók war kein Jude, er war auch kein Kommunist, er hätte ruhig in Ungarn bleiben können. Aber er konnte mit diesem Regime von Miklós Horthy, der so mit dem Nationalsozialismus sympathisierte, gar nichts anfangen. Deshalb ging er 1940 in die USA – und das war eine Katastrophe für ihn. Niemand wollte ihn hören, man wollte seine Musik nicht spielen. Er war sehr arm, er hatte kein Geld. Seine Gesundheit wurde immer schlimmer und er starb 1945 an Leukämie – unter den miserabelsten Umständen. Es ist eine sehr traurige Geschichte.

Solange Viktor Orbán da ist, kann ich nicht zurückgehen.
András Schiff, Pianist

BR-KLASSIK: Wann waren Sie zuletzt in Ihrer ungarischen Heimat?

András Schiff: Das war 2010 zur Beerdigung meiner Mutter. Es fehlt mir sehr, also die Erinnerungen. Ich habe natürlich viele Freunde, aber solange Viktor Orbán da ist, kann ich nicht zurückgehen. Und ich fürchte, das werde ich nicht mehr erleben.

Antisemitismus versteckt hinter Codeworten

BR-KLASSIK: Orbán ist offen antisemitisch ...

András Schiff: Das würde ich nicht sagen. Wissen Sie, wer ein Antisemit ist? Derjenige, der die Juden mehr hasst als notwendig. (lacht bitter) Das ist ein böser Witz, aber ich darf ihn erzählen. Er ist ein Opportunist, ein Karrierist. Und wenn es seiner Macht nutzt, dann ist er philosemitisch. Er sagt zurecht: In Ungarn und in Budapest gibt es eine sehr große jüdische Gemeinde. Die jüdische Kultur, die Synagogen, das floriert alles. Er hat große Freunde wie Netanjahu. Und viele Leute aus Israel kommen liebend gern nach Ungarn und kaufen dort Wohnungen, Häuser, Immobilien.

BR-KLASSIK: Aber er benutzt Codeworte, die eigentlich nicht missverständlich sind.

András Schiff: Ja, natürlich. Seine letzte Rede in Ungarn war Goebbels würdig. Eine rassistische Rede, dass man ein Land wie Ungarn und auch andere Länder "rassisch rein" halten muss. Er ist vehement dagegen, dass Länder verschiedene Nationen und Kulturen in sich vereinen.

Das russische Publikum hört nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen.
András Schiff

BR-KLASSIK: Sie sind eine Zeit lang nicht in Österreich aufgetreten, als Jörg Haider von der FPÖ an der Regierung beteiligt war. Wie meinen Sie, müssen wir jetzt mit russischen Künstlern umgehen? Das ist ja ein ähnlicher Fall, der gerade in Salzburg viel diskutiert wird.

Der Pianist András Schiff | Bildquelle: Lukas Beck András Schiff liebte es, vor russischem Publikum zu spielen – bis der Krieg kam. | Bildquelle: Lukas Beck András Schiff: Jede Frage ist richtig und berechtigt, aber nicht jede ist so einfach zu beantworten. Ich versuche es trotzdem. Ich bin ein sehr großer Freund von Russland und der russischen Kultur. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, wo ich so gern gespielt habe.

BR-KLASSIK: Warum?

András Schiff: Wegen des Publikums. Das russische Publikum hört nicht mit dem Kopf, nicht einmal mit den Ohren, sondern mit dem Herzen. Es ist mir sehr oft passiert, dass Leute mit dicken Tränen im Konzert saßen und zutiefst bewegt waren. Sie konsumieren Kunst und Musik nicht, sie erleben sie. Wenn man mir jetzt sagt: "Sie dürfen nie wieder in Russland spielen", dann bricht mir das das Herz. Aber andererseits: Was gerade passiert, ist unakzeptabel. Es ist eine schreckliche Sache. Und es ist auch die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Was haben wir, der Westen, versäumt? Ich verteidige nicht Putin, aber es wäre ein fürchterlicher Fehler, alles, was russisch ist, zu eliminieren.

Russischer Künstler ist nicht gleich russischer Künstler

BR-KLASSIK: Ich glaube, das fordert auch niemand.

András Schiff: Es sind Tendenzen da. Ich habe schon oft gesehen: Man darf Tschaikowsky nicht spielen, man darf keinen Kongress über Dostojewski machen. Das ist idiotisch. Bei den Künstlern muss man auch differenzieren. Die Kategorie von Herrn Gergiev, der Werbung für Putin macht, die muss man boykottieren, das steht außer Frage. Dann gibt es andere russische Künstler, die dort leben oder Familie haben, die überhaupt nicht für Putin sind. Aber sich zu äußern und diesen Krieg zu verurteilen, ist für sie lebensgefährlich. Diese Kategorie von Künstlern muss man anders beurteilen. Und dann gibt es eine dritte Kategorie wie mein Freund Evgeny Kissin, der mit seiner Familie im Ausland lebt und sich sehr mutig gegen Putin geäußert hat. Gott sei Dank unternimmt niemand etwas gegen Evgeny Kissin. Aber ich habe auch schon Gerüchte gehört, dass es Veranstalter gab, die sagten: Wir wollen nicht, dass Sokolov bei uns auftritt, weil er Russe ist. Das ist völlig falsch.

Currentzis muss Stellung beziehen

BR-KLASSIK: Wie stehen Sie zu dem Fall von Teodor Currentzis? Dessen Orchester ist ja gesponsert von einer Bank, die direkt dem russischen Staat gehört und dessen Chefpositionen auch von der Regierung ernannt werden.

András Schiff: Er ist sicherlich in einer sehr schwierigen Situation. Ich denke, man muss Stellung beziehen. Man darf und kann nicht auf sämtlichen Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Entweder hält er sich an Russland und die russische Politik oder er akzeptiert die Konsequenzen. Es ist sehr gefährlich, was ich hier jetzt sage. Kaum macht man den Mund auf, kommt eine Lawine dagegen. Aber Sie haben mich so nett gefragt, dass ich wage das zu sagen: Mir gefällt diese Verbindung zu der russischen Bank oder zu den Oligarchen überhaupt nicht. Und dann habe ich noch gar nicht von der Musik gesprochen, aber das ist Geschmackssache.

BR-KLASSIK: Da polarisiert Teodor Currentzis natürlich auch sehr.

Beginn der Freundschaft mit dem Klavier

BR-KLASSIK: Können Sie sich erinnern, wie Sie als Kind Freundschaft mit Ihrem Instrument geschlossen haben?

András Schiff: Meine Mutter war Pianistin und wir hatten ein Klavier im Haus. Ich war Einzelkind, ein sehr lebendiges, sehr schwer zu bremsen, und das hat mich fasziniert. Es tönte immer Musik aus dem Radio. Mein Vater war Frauenarzt und Amateurgeiger. Er hatte sehr viele alte 78-er Platten, vor allem Geigenaufnahmen – wunderbar mit Bronisław Huberman und Yehudi Menuhin. Das habe ich immer gehört und es dann versucht – angeblich bevor ich sprechen konnte – mit einem Finger auf dem Klavier nachzumachen. Die Freundschaft mit dem Klavier fiel mir nicht schwer.

Fußball war wichtiger als Klavier

BR-KLASSIK: Aber das reicht ja noch nicht. Dann muss man auch sehr, sehr hart arbeiten.

Andras Schiff | Bildquelle: Joanna Bergin Mit fünf Jahren fängt András Schiff an, Klavier zu spielen – und beginnt eine lange Freundschaft. | Bildquelle: Joanna Bergin András Schiff: Ja, ich habe mit fünf Jahren angefangen, Klavierstunden zu nehmen. Aber nur zum Spaß. Gott sei dank! Ich war nie ein Wunderkind. Meine Eltern haben das nie forciert. Ich konnte eine völlig normale, schöne Kindheit haben, wo ich viel mehr Fußball spielte als Klavier. Meine Mutter hat mich sehr oft mitgenommen in Konzerte. Es sind schöne Erinnerungen: Ich saß im Schoß meiner Mutter. Ich habe sehr oft Swjatoslaw Richter gehört und sogar Arthur Rubinstein. Solche Erlebnisse waren sehr wichtig und das hat mir dann immer mehr gefallen. Aber es dauerte sieben, acht Jahre, da war ich zwölf oder 13, bis ich sagte: Das musst du für's Leben machen! Und dann reicht es nicht mehr, eine halbe Stunde oder eine Stunde zwischen zwei Fußballspielen zu üben. Aber das war die richtige Reihenfolge. Ich sehe diese armen Wunderkinder. Hinter jedem stehen sehr wohlwollende, aber schreckliche Eltern. Sie machen diese Kinder kaputt. Sie müssen immer üben, üben, üben und dann versäumen sie die ganze Kindheit.

BR-KLASSIK: Haben Sie selbst die Entscheidung getroffen mit zwölf?

András Schiff: Ja. Das war so wie bei Saulus – Paulus. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Das war so schlagartig, aber ich habe es nie bereut. Ich bereue nur eines: dass ich kein Talent zum Komponieren habe. Ich möchte so gern komponieren, aber nur sehr gut, nicht mittelmäßig – nicht so wie Orff (lacht).

BR-KLASSIK: Sondern so wie Bartók?

András Schiff: Mindestens! Nein, das ist unerreichbar.

Ich glaube keinem Musiker, der sagt: Ich lese keine Kritik.
András Schiff

BR-KLASSIK: Lesen Sie eigentlich Kritiken?

András Schiff: Natürlich. Wir sind alle eitel. Ich hoffe, ich bin nicht zu eitel. Ich arbeite mein Leben lang an meiner Eitelkeit – mit mehr oder weniger Erfolg, aber wir interessieren uns natürlich dafür. Musik ist Interpretation, ein Konzert ist keine Einbahnstraße. Wir brauchen eine Rückmeldung. Man spielt ein Konzert und das Publikum applaudiert – also man wird nicht ausgebuht oder mit faulen Tomaten beworfen. Und dann? Ich lese das natürlich, aber es ist mir schon lange nicht mehr so wichtig wie früher. Als junger Mensch, ist man interessierter und abhängiger davon. Manchmal habe ich auch sehr darunter gelitten. Ich glaube keinem Musiker, der sagt: Ich lese keine Kritik. Jeder liest das.

BR-KLASSIK: Es gibt von Max Reger den berühmten Brief an einen Kritiker, wo er schreibt: "Ich sitze an einem stillen Ort. Ich habe ihre Kritik vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben." Was ist denn Ihr Rezept gegen Kritiken, die Sie ärgern?

András Schiff: Ich weiß nicht. Man darf sich nicht so aufregen. Aber in dieser Hinsicht ist die Welt besser geworden. Ich erinnere mich an Joachim Kaiser.

BR-KLASSIK: ...der große, berühmte SZ-Kritiker ...

Auch Kritiken haben ihre Spielregeln

Der Theater-, Literatur- und Musikkritiker, aufgenommen im Mai 1993 in Mainz. Joachim Kaiser wurde am 18. Dezember 1928 in Milken (Ostpreußen) geboren. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Erwin Elsner Unter den Kritiken von Joachim Kaiser leiden viele KünstlerInnen, auch András Schiff. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Erwin Elsner András Schiff: Das war wirklich damals unglaublich wichtig in der Musikwelt: Was wird der Kaiser jetzt schreiben? Auch ich habe persönlich gelitten unter Kaiser. Stellen Sie sich vor: Ich war noch sehr jung, Anfang 20, und ich hatte eine Tournee mit den Bamberger Symphonikern. Dirigiert hat Eugen Jochum und ich spielte das G-Dur-Konzert von Mozart, KV 453. Wir kennen sehr viele Handschriften von Mozart und da steht während der Tutti-Passagen der Basso continuo. Und das wurde auch von Mozart selbst praktiziert.

BR-KLASSIK: Als Solist in seinen eigenen Klavierkonzerten hat immer mitgespielt. Auch wenn das Orchester im Tutti gespielt hat, hat er es als Continuo begleit.

András Schiff: Ja, weil es damals keinen Dirigenten gab. Mozart hat das geleitet und durch das Continuospiel hat er das Ensemble zusammengehalten. Ich habe angefangen, das auch zu machen und Jochum war begeistert. Er hatte das noch nie gehört und hat gesagt: "Ach, junger Mann, das ist toll, mach das." Und dann beim dritten Konzert oder so kommen wir nach München und am nächsten Tag schreibt Kaiser einen Verriss in der Zeitung, wie schlecht das alles war. Aber vor allem: Wie kommt dieser junge Mann dazu, Continuo zu spielen? Und was ist das für ein Blödsinn?

BR-KLASSIK: Weil es in den Noten steht ...

András Schiff: Das wusste Kaiser nicht und er wusste sowieso alles besser. Das Schlimmste war: Am nächsten Tag wollte Jochum kaum mit mir sprechen. Ich war weg vom Fenster – wegen dieser Kritik. Dann ist das nicht so harmlos. Ein Kritiker muss wirklich sehr anspruchsvoll sein, aber es hat auch seine Spielregeln und man darf nicht unter die Gürtellinie gehen. Man darf niemanden verletzen oder lächerlich machen, auch wenn das für den Kritiker vielleicht sehr lustig ist. Aber der Leidende leidet und wird gequält. Und dann? Ich glaube, dafür gibt es keine Gesetze. Aber man muss das instinktiv spüren, wie weit man geht. Nicht wahr?

Sendung: "Meine Musik" am 13. August 2022 ab 11.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Donnerstag, 18.August, 12:20 Uhr

Robert Humberston

Andras Schiff Interview

A very good interview with my favorite living pianist, Andras Schiff. Among the field of excellent Schubert interpreters, I think Mr.Schiff captures the essence of Schubert’s soul best. Thank you for this article.

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