Er stammte aus einer armenischen Einwandererfamilie in Paris und wurde zu einem der berühmtesten Franzosen des 20. Jahrhunderts: der Chanson-Sänger Charles Aznavour. Der Film "Monsieur Aznavour" erzählt seine bewegte Geschichte.
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Es sind kleine Momente in diesem Film, die sich im Gedächtnis festhaken. Ein Nachtclub in Paris noch während der deutschen Besatzung. Ein junger Mann, der eben noch auf der Bühne stand und den Klassiker "Y a d’la joie" (Da ist Freude) von Charles Trenet gesungen hat, sagt der Besitzerin, er würde gern mal etwas anderes singen, Liebeslieder. Die resolute ältere Dame wischt einsilbig-barsch den Wunsch sogleich vom Tisch: "Hör auf mit dem Quatsch! Liebeslieder sind für hübsche Männer. Außerdem ist deine Stimme zu kratzig." Später, nach der Befreiung: Derselbe Sänger, nicht hübsch, aber voller Ehrgeiz und Ideen, begegnet einer gewissen Edith Piaf, dem strahlenden Energiebündel des französischen Chanson. Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein, zu einer Party, und wundert sich dann im Gespräch mit ihm darüber, dass er ein schwarzes Hemd trägt. Ob er in Trauer sei? Er: "Damit es nicht auffällt, wenn das Hemd schmutzig ist." Sie: "Der gefällt mir. Der schlägt mit einem schmutzigen Hemd hier auf." Und zu ihm, direkt: "Du kommst, wie ich, von der Straße."
Charles Aznavour war ein weltberühmter Chansonnier. Er wurde 94 Jahre alt. Der Kinofilm "Monsieur Aznavour" erzählt sein Leben. | Bildquelle: © picture alliance / Photoshot
Zwei Szenen aus "Monsieur Aznavour". Dieser Film erzählt vom Aufstieg eines jungen Mannes aus einer armen Einwandererfamilie zum weltberühmten Star in einer Domäne, die französischer nicht sein könnte: jener des französischen Chansons. Der Film startet zu einem passenden Datum. Am 22. Mai wäre der 101. Geburtstag von Charles Aznavour, der eigentlich Shahnourh Vaghinag Aznavourian hieß. Aznavour starb im Oktober 2018 im Alter von 94 Jahren. Er war ein Langlebiger des französischen Chanson – und das im doppelten Sinn. Seine Karriere umspannte über 70 Jahre. Denn schon 1946 hatte er seinen Durchbruch, und er war bis zuletzt aktiv. 1924 war er im Pariser Quartier Latin zur Welt gekommen.
Langes Leben, langer Film: 134 Minuten dauert das Epos, das unter der Regie von Mehdi Idir und Grand Corps Malade, selbst ein französischer Sänger und Poet, entstand. Produzent des Films ist Jean-Rachid Kallouche, Schwiegersohn Charles Aznavours. In fünf Kapiteln, die mit Liedertiteln Aznavours überschrieben sind, erzählt der Film ruhig und in sanfter Melancholie, wie ein kleiner Junge durch Zufall sein Talent für Theater entdeckt, als junger Mann in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit dem Fahrrad zu den Orten reist, an denen er mit einem Freund Konzerte gibt, wie er später Frau und Kind verlässt, um Karriere zu machen, in seiner Mansarde fieberhaft an Texten und Melodien feilt, vor fast leeren Reihen in der Provinz singt, drauf und dran ist, für immer aufzugeben – und dann doch den großen Durchbruch hat: knapp über 1,60 groß, dunkle Balken über den Augen, einnehmend trauriger Blick. Und: lyrisch ergreifende Power im Studio und auf der Bühne. Mit viel Liebe zum Detail und Sinn fürs Auskosten vor allem musikalischer Momente ist diese Geschichte auf die Leinwand gebracht.
Tahar Rahim spielt den Chansonnier Charles Aznavour - und singt an vielen Stellen auch selbst. | Bildquelle: Tukimuri
Verblüffend ist vor allem Tahar Rahim in der Rolle von Charles Aznavour (bekannt unter anderem aus "Ein Prophet" und Träger des Europäischen Filmpreises). Rahim sieht Aznavour im Grunde nicht sehr ähnlich – er schlüpft aber so überzeugend in die Figur hinein, dass man nach einer Weile ohnehin nur noch Aznavour in ihm sieht. Besonders verblüffend: Rahim singt an vielen Stellen auch selbst – und eben offenbar nicht der Original-Aznavour aus dem Off. Rahim schafft es dabei, seine eigene Stimme so stark der des Sängers anzuverwandeln, dass sie eigentlich nicht mehr von Aznavours eigener zu unterscheiden ist. Berichten zufolge hat der Schauspieler wochenlang intensiv Gesang und Klavierspielen unter Anleitung trainiert und ist dabei zu einem stimmlichen Doppelgänger geworden.
Auch sonst hat Tahar Rahim sein Vorbild minuziös studiert. Verschmitzte Blicke aus dem Augenwinkel, ein Lächeln, das vor ironischen Bemerkungen den Mund umspielt: Aznavour als funkelnder Gesprächspartner. Und dann: Aznavour auf der Bühne: Das Glanzstück der Rolle ist die Interpretation des Chansons "Je m'voyais déjà" (Ich sah mich bereits): Der Sänger steht mit offenem Hemd auf der Bühne und knöpft sich während des Singens Manschetten und Kragen zu, bindet sich die Krawatte und schlüpft behänd, immer noch singend, in die dunkelblaue Anzugjacke; am Ende des Chansons, das vom allmählichen Erreichen des Ziels, berühmt zu werden, handelt, sitzt der Anzug perfekt.
Édith Piaf et ses amis - wichtige Persönlichkeiten aus dem Freundeskreis der Piaf
Marie-Julie Baup als Édith Piaf im Film "Monsieur Aznavour". | Bildquelle: Caroline Bazin
Auch andere Darsteller:innen in "Monsieur Aznavour" brennen sich ins Gedächtnis: nicht zuletzt die enorm kantige Marie-Julie Baup als Édith Piaf. Sie spielt die gnadenlose Mentorin und das eigennützige Idol, das den jungen Kollegen für willkommenen musikalischen Input an sich binden will, mit lakonischer Härte.
Für Fans des französischen Chansons ist "Monsieur Aznavour" eine Quelle schöner Querverweise und Hintergründe – auch Chanson-Kollegen wie Charles Trenet und Gilbert Bécaud kommen vor, und man staunt über die treffende Ähnlichkeit der Darsteller. Die Lieder - große Erfolge wie "La Bohème" und "Sa Jeunesse" – sind auf feinsinnige Art ins Geschehen eingebunden und strukturieren es. Eindringlich-witzig sind Aznavours Anfänge als Partner des Freundes und Sänger-Pianisten Pierre Roche in Szene gesetzt. Bei diesem Freund verwendete Aznavour laut dem Film zum ersten Mal ein rotes Notizbuch für seine Chanson-Skizzen; viele Szenen später in Aznavours Arbeitszimmer: ein ganzes Regal voller roter Notizbuch-Rücken.
Nicht nur der Erfolg, sondern auch sein Preis ist Thema des Films, der dadurch nicht in Gefahr ist, zum Bewunderungs-Epos abzurutschen. Porträtiert wird ein Sänger, der für die Karriere eine junge Familie opfert – und der später mit dem tragischen Tod seines erst 25-jährigen Sohnes Patrick leben muss; eines Sohnes, der offenbar viel zu selten die Nähe des erfolgreichen Vaters genießen konnte. Die Erfolgsgeschichte hebt sich erkenntnisstiftend vor dem Hintergrund einer Gesellschaft ab, die es einem wie Aznavour zunächst nicht leicht machte. Er klinge wie ein erkälteter Muezzin, habe das Timbre einer Pfeffermühle und ohnehin eine "Grottenstimme", ja, er sei ein "unverdaulicher Armenier", hieß es in frühen Kritiken. Der Unverdauliche ließ sich davon nicht entmutigen, und so wurde ein eher klein gewachsener Einwanderersohn schließlich zu einem sehr großen Franzosen: Monsieur Aznavour. Ein Gigant des Chansons – und eine dankbare Film-Hauptfigur.
Sendung: "Leporello" am 21. Mai 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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