Die australische Dirigentin Simone Young war schon zweimal beim BRSO zu Gast. Jetzt kehrt sie mit ihrem Wunschprogramm zurück und verrät BR-KLASSIK, warum sie sich in der Klangwelt von Alban Berg und Alexander Zemlinsky so wohlfühlt.
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BR-KLASSIK: Frau Young, Sie kombinieren im Konzert Musik von Anton Webern, Alban Berg und Alexander Zemlinsky. Welche Idee steckt denn hinter diesem Programm?
Simone Young: Dieses Programm dringt zum Kern einer Zeit vor, die mich fasziniert. Das ist Wien und die sogenannte Zweite Wiener Schule in der Zeit zwischen 1900 und 1930. Das ist eine spannende Periode mit diesen ganzen Opern von Richard Strauss, mit den Mahler-Symphonien oder Hans Pfitzner. Die beiden Werke von Webern und Berg sind so verschieden, obwohl sie auf der gleichen Klangwelt basieren und sogar aus derselben Wiener Schule stammen. Das ist dann eine Herausforderung sowohl für mich wie auch für die Musikerinnen und Musiker, dass sie diese expressive Klangwelt beibehalten, aber trotzdem die Modernität von Webern, die musikalischen Strukturstränge von Berg und die Üppigkeit von Zemlinsky zum Ausdruck bringen.
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BRSO: Simone Young conducts "Heldenleben" by Stauss (Excerpt)
BR-KLASSIK: Man könnte auch sagen: Insgeheim kreist das ganze Programm um Arnold Schönberg. Er war der Lehrer von Zemlinsky, Berg und Webern waren seine Schüler.
Simone Young: Ich habe mich lange mit dieser Zeit beschäftigt, selbstverständlich auch mit der Oper. Vor allem Schönbergs "Moses und Aaron", Bergs "Wozzeck" und seine "Lulu" sind drei Werke, die mich seit über 30 Jahren faszinieren. Und mit diesen großen Opernerfahrungen immer wieder zu den Werken des heutigen Abends zurückzukehren, ist schon toll. Auch wegen Zemlinskys Leidenschaft für die Musik Gustav Mahlers und Richard Wagners – Zemlinsky war als Assistent bei den Premieren von "Parsifal" dabei. Oder wenn man sich die Entwicklungen jener Zeit anschaut: Die klassische Musik befand sich damals in einer Zeit des großen Aufbruchs, aber auch großer Umbrüche – alles spaltet sich auf, geht in verschiedene Richtungen. Die Komponisten hielten am Kernklang von Expressivität fest und legten zugleich eine hohe Aufmerksamkeit auf Klangfarben, Artikulation und Phrasierung innerhalb einer intellektuellen, komplizierten Musiksprache.
Ich möchte die Ohren unseres Publikums durch die verschiedenen Facetten dieser Welt führen.
BR-KLASSIK: Es ist doch auch faszinierend, wie unterschiedlich damals innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne komponiert wurde ...
Simone Young | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Simone Young: Absolut. Also bei Berg und Zemlinsky bemerkt man diese Verbindung schon – in ihrer großen Liebe zur menschlichen Stimme, für die sie hervorragend geschrieben haben. Und diese Affinität spürt man auch in ihrer symphonischen Musiksprache. Die "Fünf Orchesterstücke" von Webern sind dagegen etwas völlig anderes. Das sind Mini-Miniaturen – die meisten dieser Stücke dauern nicht einmal eine Minute. Aber es gibt auch musikalische Verbindungen zwischen den drei Werken des Abends, Webern ist dabei so etwas wie die Keimzelle: Eine kleine rhythmische Figur oder ein kleiner instrumentaler Dialog von ihm findet sich auch bei Berg oder Zemlinsky wieder. Also es ist nicht nur so, dass ich bei der Planung des Programms gesagt habe: Dieses und jenes Werk möchte ich machen. Das ist wirklich durchdacht – und ich hoffe, damit die Ohren unseres Publikums durch die verschiedenen Facetten dieser Welt zu führen.
BR-KLASSIK: Interessant ist an Weberns "Fünf Stücken für Orchester" Opus 10 natürlich auch die kleine Besetzung, die aber mit außergewöhnlichen Instrumenten wie Harmonium, Celesta, Mandoline und Gitarre aufwartet. Was hat es mit dieser speziellen Klangfarbe auf sich?
Simone Young: Das verbindet Webern dann auch wieder mit der Oper, denn Mandoline und Gitarre sind Sonderinstrumente, die man in der Oper immer wieder antrifft. Und das Harmonium hat Schönberg sehr geliebt. Als Schönberg kleinere Fassungen von Mahler-Werken einrichtete, hat er das Harmonium häufig als Ersatz für die ganzen Harmoniestimmen bei den Blech- und Holzbläsern eingesetzt. Das Harmonium hat eine ganz besondere Klangfarbe. Auch Richard Strauss hat das Harmonium zum Beispiel in "Ariadne auf Naxos" sehr wirkungsvoll eingesetzt, hinter der Bühne sogar in "Salome". Mit dem Instrument verhält es sich so: Sobald man erkennt, dass da ein Harmonium spielt, hat man etwas falsch gemacht. Man soll es als Farbe wahrnehmen – und nicht so sehr als Instrument.
BR-KLASSIK: Richtig kompliziert wird es für Sie dann in den Drei Orchesterstücken Opus 6 von Alban Berg. Die sind ja riesig besetzt – und Berg selbst hielt diese Partitur für die komplizierteste, die bis dahin, das war 1914, überhaupt geschrieben worden sei. Stimmen Sie dem zu?
Alban Berg (1885 - 1935) | Bildquelle: imago/Leemage
Simone Young: Ja, aber ich würde sagen, bis dahin hatte er noch nicht "Lulu" komponiert. Die Partitur von "Lulu" ist viel komplizierter. Und ich glaube, Schönbergs "Moses und Aaron" war auch noch nicht fertig – das Stück ist auch sauschwer, um es mal so zu sagen. Aber ja, Bergs Partitur ist höchst kompliziert. Und was sich hier schon abzeichnet: Berg war wirklich ein Meister im strengen Einsatz von Zwölftontechnik. Aber andererseits war ihm klar, dass Tonalität auch eine gewisse emotionale Anrede an das Publikum gewährleistet. Demzufolge hat er seine Musiksprache zwar sehr intellektuell aufgebaut, aber er ging immer von einer expressionistischen Klangwelt aus. Und dieses scheinbare Paradox als wirkungsvollen musikalischen Ausdruck zusammenzubringen, ist viel schwieriger als das zu taktieren. Taktschlagen kann man lernen, aber irgendwie aus der Partitur zu enträtseln: Wo geht diese Phrase hin, welches Instrument soll ich jetzt rausholen, was gehört in den Hintergrund, wo sind die Aussagen? Das ist es, was diese Partitur kompliziert macht.
Simone Young dirigiert das BRSO am 15. und 16. Mai in der Münchner Isarphilharmonie.
Erleben Sie das Konzert mit Simone Young und dem BRSO live im Radio auf BR-KLASSIK: am 16. Mai 2025 ab 20:03 Uhr.
Anton Webern: Fünf Orchesterstücke, op. 10
Alban Berg: Drei Orchesterstücke, op. 6
Alexander Zemlinsky: "Lyrische Sinfonie", op. 18
Solisten: Maria Bengtsson, Sopran; Michael Volle, Bariton
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Simone Young
BR-KLASSIK: Hauptwerk Ihres Programms ist die "Lyrische Symphonie" von Alexander Zemlinsky. Lyrische Symphonie – das ist ja eigentlich schon ein Widerspruch in sich, oder?
Simone Young dirigiert unter anderem die "Lyrische Sinfonie" von Alexander Zemlinsky beim BRSO. | Bildquelle: picture-alliance/MAXPPP
Simone Young: (lacht) Also ich sehe das Werk quasi als Gegenstück zu Gustav Mahlers "Lied von der Erde". Beide Werke sind von asiatischen Gedichten inspiriert, für riesengroße Orchester und zwei Sänger gesetzt. Wobei Mahler Tenor und Mezzo vorgesehen hat, Zemlinsky Bariton und Sopran. Ich glaube, die Idee zu einer lyrischen Symphonie haben diese Komponisten schon in den Spätwerken von Wagner erkannt, wo die Stimmen eigentlich einen Großteil der symphonischen Farben ausmachen – und umgekehrt das Orchester auch Teil des Dramas ist. Jetzt bei Zemlinsky sind wir 40, 50 Jahre nach Wagner, aber auch hier verschmelzen die Texte von Rabindranath Tagore, die wirklich wunderschön sind, mit den Stimmen.
Mahler und Zemlinsky haben sehr lyrische Gedanken in ihre Kompositionen eingebracht.
Vor allem die Sopranstimme und die Sologeige sind quasi als Einheit zu betrachten, das ist kein Dialog: Die Geige ist wie Stimme ohne Text, und dann haben wir die Stimme mit Text. Die klassisch geführte, jugendlich dramatische Stimme der Schwedin Maria Bengtsson ist dafür ideal. Und beim Bariton verlangt Zemlinsky schon eine wuchtige Stimme, einen Wotan, da liegen wir mit Michael Volle genau richtig. Die Gesangsstimmen versinken manchmal im Orchesterteppich, aber eigentlich sollten sie immer im Vordergrund stehen. Ich rede viel von Oper, aber Mahler und Zemlinsky sind Komponisten, die auch sehr lyrische Gedanken in ihre Kompositionen eingebracht haben.
BR-KLASSIK: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat die "Lyrische Symphonie" von Zemlinsky noch nie gespielt, seit 1949!
Simone Young: Ja, das ist erstaunlich. Das ist wirklich für das Orchester hier eine Erstaufführung, auch die Webern-Stücke haben sie seit den 1960-er Jahren nicht mehr gespielt. Deshalb freue mich besonders darauf. Ich habe die "Lyrische Symphonie" mehrfach gemacht, aber jetzt bewusst einige Jahre liegengelassen, weil ich schauen wollte, wie sich das mit den ganzen Mahler-Symphonien und viel Alban Berg in der Zwischenzeit bei mir entwickelt. Und ich bin mehr als glücklich, dass das Orchester diese Musik so schön findet. Es ist natürlich eine Herausforderung, wenn das Neuland ist – aber darum macht es noch mehr Spaß.
BR-KLASSIK: Sie haben schon von Wagner gesprochen. Bei Wagner sind wir natürlich auch beim Thema Bayreuther Festspiele. Welche Erfahrungen haben Sie denn mitgenommen von Ihrem ersten "Ring"-Zyklus im letzten Sommer für diesen Festspielsommer?
2024 gab Simone Young ihr Debüt bei den Bayreuther Festspielen. | Bildquelle: BR/Markus Konvalin
Simone Young: Zuerst, rein pragmatisch gesehen: Die Akustik im Bayreuther Festspielhaus aus diesem verdeckten Orchestergraben heraus ist wie nirgendwo sonst. Obwohl ich große "Ring"-Erfahrung mitgebracht habe, musste ich vieles um- und neudenken, um in dieser Akustik das zur Wirkung zu bringen, was ich mir im Kopf vorgestellt hatte. Und in diesem Jahr fange ich schon mit dieser Erfahrung an, bin also zwei Schritte weiter. Wir haben jetzt im Sommer zum Großteil die gleiche Besetzung, ein paar Hauptrollen sind umbesetzt, aber nicht viel, und das Schöne, was ich mitbringen kann, ist eine innere Ruhe – denn ich fand schon nach den ersten Proben damals: Es gibt kaum einen Orchestergraben auf der Welt, wo ich mich wirklich so zu Hause gefühlt habe wie in Bayreuth. Erstaunlich, aber wahr.
Es gibt kaum einen Orchestergraben auf der Welt, wo ich mich so zu Hause gefühlt habe wie in Bayreuth.
BR-KLASSIK: Wie kommt es eigentlich, dass Sie als Spezialistin für diese ganze Spätromantik gelten, also für Richard Wagner, Richard Strauss, Gustav Mahler und eben auch Alexander Zemlinsky?
Simone Young: Wahrscheinlich, weil ich am Anfang meiner Karriere sehr konsequent in der Auswahl meines Repertoires war. Ich wollte nicht, dass man mich in irgendeine Schublade steckte – nicht unbedingt nur wegen der mühsamen Frauenfrage, sondern auch als junge Dirigentin, Ausländerin, Englischsprachlerin und so weiter. Es wäre sehr einfach gewesen, man hätte mich quasi in eine zeitgenössische Musikschublade gesteckt oder leichte Musik, Operetten, leichten Rossini, Donizetti oder sowas machen lassen. Das habe ich selbstverständlich alles gemacht, aber ich habe mich konsequent an die deutsche Romantik gewagt, ich war eben auch in Deutschland: Hier bin ich, diese Orchester haben diese Tradition, da möchte ich mich hineinsetzen.
Simone Young | Bildquelle: © Berthold Fabricius
Und dann kam das selbstverständlich durch die Verbindung zu Daniel Barenboim und Bayreuth, später zu Berlin und Hamburg, wo Gustav Mahler selber mal Musikchef war. Dadurch, dass ich auch so viel in Wien dirigiert habe, hatte ich sofort einen Zugang zu diesem Repertoire. Es hat einfach zu mir gepasst (lacht). Ich finde auch die Literatur, das Schauspiel dieser Zeit faszinierend, habe mich lange mit den ganzen Büchern und Aphorismen von Karl Kraus beschäftigt. Ich habe mich wirklich in diese Zeit hineinversetzt. Das kommt dann immer wieder – und eines Tages wird man plötzlich als Spezialistin bezeichnet, ohne dass man irgendwas dafür getan hat, außer das häufig zu machen (lacht).
BR-KLASSIK: Wo nehmen Sie Ihre ganze Energie her? Das sind ja monströse Stücke und riesige Kraftanstrengungen, die dieses Repertoire eben auch erfordert.
Simone Young: Ja, das stimmt, aber ich finde, die Energie kommt immer aus der Musik. Also ich muss mich nie packen und sagen, komm jetzt, fünf Stunden Oper, oder komm jetzt, eine eineinhalbstündige Symphonie oder so – das kommt von alleine für mich aus der Musik. Ich merke aber, je älter ich werde, dass ich ein bisschen mehr Zeit zum Regenerieren dazwischen brauche.
BR-KLASSIK: Und wie regenerieren Sie sich, Frau Young?
Simone Young: Am besten beim Schwimmen, das finde ich wunderbar. Oder einfach lesen, ein bisschen Filme schauen, spazierengehen. Das Wetter ist herrlich diese Woche, ich werde sogar einen Biergarten aufsuchen für ein paar Stunden. Ja, einfach ein bisschen Freizeit genießen.
Sendung: "Allegro" am 16. Mai 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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