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Bayreuth Baroque 2024 Was hat Cenčić vor?

Er hat die Barockoper in Bayreuth neben Wagner etabliert: Max Emanuel Cenčić. Jedes Jahr im September wandert das musikalische Zentrum der Stadt vom Grünen Hügel in das UNESCO Welterbe des Markgräflichen Opernhauses. Im Gespräch mit BR-KLASSIK-Redakteurin Ursula Adamski-Störmer gibt Cenčić einen Ausblick auf 2024.

Max Emanuel Cenčić im Gespräch | Bildquelle: BR Franken

Bildquelle: BR Franken

Bayreuth Baroque 2024

Max Emanuel Cenčić über das neue Programm

BR-KLASSIK: Das Bayreuth Baroque Opera Festival wird im Jahr 2024 schon fünf Jahre alt. Ein kleines Jubiläum, und man hat den Eindruck, die Zahl fünf spielt auch in der gesamten Konzeption eine Rolle, denn das Festival dauert vom 5. bis zum 15. September. Also überall ist die fünf drin, und jetzt bin ich gespannt, ob das purer Zufall oder vielleicht doch kein purer Zufall ist?

Max Emanuel Cenčić: Das ist purer Zufall.

BR-KLASSIK: Aber eine schöne Koinzidenz. Als vor fünf Jahren das Festival begann, wir erinnern uns, obwohl es lange her zu sein scheint, lag die Kultur am Boden: Die Pandemie hatte die Welt, hatte Deutschland fest im Griff. Vieles musste ausfallen und doch haben Sie ein neues Festival gestartet. Wenn sie jetzt diese fünf Jahre Revue passieren lassen, hätten Sie sich damals träumen lassen, dass dieses Festival diesen Erfolg in dieser kurzen Zeit haben könnte?

Ich hatte von Anfang an eine Vision
Countertenor Max Emanuel Cenčić

Max Emanuel Cenčić: Also Ich darf ganz frech sagen: ja. Denn ich hatte von Anfang an eine Vision und die verfolge ich weiterhin. Also für mich ist der Weg noch immer nicht zu Ende. Als ich nach Bayreuth gekommen bin, habe ich gesagt, dass ich mir ein Festival auf internationaler Ebene wünsche und dass ich hier etwas Großes aufbauen möchte. Und vor allem war ich mir auch dessen bewusst, dass, wenn wir über einen Aufbau sprechen, dann reden wir nicht von zwei, drei Jahren, sondern wir müssen in sehr großen Zeitbögen denken – also zehn, zwanzig Jahre. Ein Festival ist auch etwas, was nicht nur einfach so entsteht, das muss geboren werden, und die Menschen und die Gemeinde, die mit diesem Festival leben, müssen es auch mittragen. Ich bin sehr glücklich, dass wir nach fünf Jahren sagen können, dass wir große Schritte nach vorne gemacht haben. Aber es gibt auch sehr vieles, was wir noch verbessern müssen – es ist eben ein work in progress.

Bayreuth Baroque im Video:

Hier gelangen Sie zu den Videostreams von Bayreuth Baroque 2023: "L'Orfeo" von Monteverdi mit Rolando Villazon sowie ein Arienabend mit Daniel Behle und Concerto Köln.

BR-KLASSIK: Ein stetiger Entwicklungsprozess, der noch lange nicht am Ende ist. Es wäre ja auch fatal, denn die Kunst besteht gerade darin, dass sie sich immer weiterentwickelt, neue Akzente setzt, neue Aspekte in den Vordergrund stellt. Und so bringen Sie auch im nächsten Jahr wieder eine Neuinszenierung ins Markgräfliche Opernhaus, dieses wunderschöne UNESCO Weltkulturerbe, wo dieses Festival beheimatet ist: "Ifigenia in Aulide" von Nicola Porpora wird die Premiere im nächsten Jahr. Was macht diesen neapolitanischen Barockopernkomponisten so stark? Er war ein bedeutender Gesangslehrer seiner Zeit, er hat die größten Kastraten damals unterrichtet, und in dieser Doppelfunktion als Komponist und Gesangslehrer wusste er, was die menschliche Stimme auf einem entsprechenden künstlerischen Niveau leisten kann, und hat sich natürlich auch in seinen Kompositionen von diesen virtuosen Möglichkeiten beeinflussen lassen.

Max Emanuel Cenčić: Man muss das so sehen, dass die Komponisten der damaligen Zeit eher damit beschäftigt waren, den Sängern ihre Rolle auf den Leib zu schreiben. Die Idee, dass der Komponist quasi der Genius ist und die Sänger folgen, das kam erst im 19. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert war es umgekehrt, und da muss man natürlich den Protagonisten erwähnen, nämlich den Kastraten Senesino, der damals die Opernkompagnie von Händel verlassen hat. Er hat einen Teil seiner Sänger einfach mitgenommen und ist zur Konkurrenz gelaufen. Diese Konkurrenz war die Opernkompagnie von Nicola Porpora. Die "Ifigenia“ ist eine Oper, die eben gerade aus dieser Zeit ist, und man merkt, dass die Musik auch da, wo die Konkurrenz ist, sich sozusagen zu überbieten versucht. Zum Glück für uns, denn wir können heute diese schöne Musik genießen.

Opera seria brandaktuell

BR-KLASSIK: Ganz viele Komponisten haben diesen Stoff der Iphigenie in Aulis als Libretto verwendet: Scarlatti, Caldara, Cherubini, Gluck und viele andere. Was macht eigentlich aus ihrer Sicht diesen Stoff so attraktiv?

Countertenor Max Emanuel Cenčić im Markkgräflichen Opernhaus Bayreuth | Bildquelle: Lukasz Rajchert Bildquelle: Lukasz Rajchert Max Emanuel Cenčić: Iphigenie ist eine politische Tragödie, es ist ein Stück, das sogar für unsere Zeit heute Gültigkeit hat. Agamemnon ist nach Aulis gekommen mit dem griechischen Heer und sie haben Hunger. Es gibt nichts zum Essen, so dass er bei einer Jagd den heiligen Hirsch der Göttin Diana erlegt. Das heißt, auf der einen Seite steht er unter dem öffentlichen Druck, dass er die Natur zerstört, um den Menschen überleben zu lassen. Das muss man sich vor Augen halten vor dem aktuellen Hintergrund des Klimawandels und des Überlebens der Menschheit. Die Göttin ist erzürnt und lässt die Winde still stehen. Das Heer kommt aus Aulis nicht mehr weg und ist quasi zum Tode verurteilt auf dieser Insel. Nur wenn Agamemnon seine Tochter opfert, löst Diana den Bann. Und das ist in einer gewissen Art und Weise sehr symbolisch, die Natur schlägt zurück und sagt: Deine Kinder werden dafür zahlen, was du jetzt der Natur angetan hast. Du hast die Natur heute zerstört und morgen müssen deine Kinder sterben. Also das ist ein sehr aktuelles Thema. Und ich glaube auch ein Thema, was damals sehr aktuell war.

BR-KLASSIK: Ein hochbrisanter Stoff also gerade für die heutige Zeit. Wir werden beim Bayreuth Baroque Opera Festival auch etliche Sängerinnen und Sänger wiedersehen und wiederhören, unter anderem den wunderbaren Sopranisten aus Honduras Dennis Orellana, 23 Jahre jung. Ist Ihnen das auch wichtig, dass Sie immer wieder junge Sänger und Sängerinnen integrieren in dieses Festival?

Max Emanuel Cenčić: Ja, man hat mich einige Male schon gefragt, ob ich unterrichte oder ob ich Workshops für junge Sänger mache. Und ich habe das grundsätzlich immer abgelehnt, weil ich in meiner Jugend erlebt habe, dass es so viele Workshops und so viele Lernmöglichkeiten gibt, aber andererseits so wenig Chancen für junge Sänger, tatsächlich auf die Bühne zu gehen. Deshalb habe ich gesagt bei Bayreuth Baroque machen wir zwar keine Workshops, aber wir werden den jungen Künstlerinnen und Künstlern die Bühnentüren öffnen. Und deshalb ist es so, dass wir hier immer wieder sehr junge Sänger haben, die ihre ersten Karriereschritte in Bayreuth gerade machen. Dennis zum Beispiel hat vor einem Jahr erst seinen Universitätsabschluss gemacht und tritt jetzt hier schon zum zweiten Mal auf und wird nächstes Jahr bei den Salzburger Festspielen sein Debüt geben. Natürlich sind wir sehr stolz darauf zu sagen, bei uns hat ein junger Sänger gestartet und jetzt ist er schon ganz groß auf den internationalen Bühnen.

Internationales Zentrum für Barockopern

BR-KLASSIK: Kommen wir zur zweiten Oper, die es 2024 geben wird: "Orlando Furioso" von Antonio Vivaldi. Das ist eine internationale Koproduktion von Bayreuth Baroque mit dem Teatro Communale di Ferrara und dem Teatro Pavarotti di Modena. Die Oper wird in dieser Konstellation dann ihre Deutschlandpremiere feiern. Wie kam es zu dieser internationalen Koproduktion?

Max Emanuel Cenčić: Das ist ein lang gehegter Wunsch von mir gewesen, dass Bayreuth Baroque nicht nur eigene Produktionen macht, sondern internationale Opernproduktionen einlädt. Und das ist ja auch meines Erachtens der Sinn eines Festivals. Man muss ja verstehen, dass man als Festival und als Institution eine gewisse Zeit existieren muss und gewisse Beziehungen aufbauen muss, damit solche Produktionen überhaupt möglich sind. Sie sind extrem komplex und nicht einfach zu organisieren. Aber ich glaube, dass es extrem wichtig ist, dass das Markgräfliche Opernhaus sich zu einem Zentrum für Barockopern entwickelt, wo man wirklich hinschaut und sagt: Wow, da gibt es echt Sachen, die weit über die Grenzen ausstrahlen.

Auszug aus einem Gespräch mit Ursula Adamski-Störmer und Max Emanuel Cenčić am 8. Dezember im Schloss Birken in Bayreuth. Das ganze Gespräch können Sie hier sehen.

Sendung: "Leporello" am 8. Dezember ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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