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Kostprobe | 11.12.2022 Alina Ibragimova spielt Telemann

Der reine Violinklang: eine Wonne für die Ohren. Und es gibt weit mehr als Bachs berühmte Sonaten und Partiten. Alina Ibragimova hat Telemanns Fantasien für Solovioline eingespielt. Eine CD, die gleich neben Bach im Regal stehen sollte.

Alina Ibragimova spielt Telemann | Bildquelle: © Hyperion

Bildquelle: © Hyperion

Auf dieser CD steht nichts als die Violine im Mittelpunkt. Schon auf dem Cover reckt sie ihren Hals elegant in die Höhe: eine Amati aus dem Jahr 1570. Und auf jeder Seite des Booklets ist eine ihrer sanften Rundungen abgebildet. Auch klanglich lenkt nichts von der Violine ab auf der neuen CD von Alina Ibragimova, kein Ensemble, kein Begleitinstrument. Denn sie interpretiert die zwölf Fantasien für Violine solo von Georg Philipp Telemann.

Historisch informiert

Fast alle großen Geigerinnen und Geiger empfinden die Solosonaten und –partiten von Johann Sebastian Bach als Krönung des Repertoires – Telemanns Fantasien hingegen lassen die meisten links liegen. Alina Ibragimova nicht. Die russisch-britische Violinistin, die ebenso vertraut ist mit dem historisch-informierten wie dem modernen Geigenspiel, stellt Telemann demonstrativ in eine Reihe mit ihren Aufnahmen der Solowerke von Bach, Paganini, Eugene Ysaye oder Karl Amadeus Hartmann.

Ausdruckskraft

Telemann schrieb – anders als Bach – die Fantasien nicht für Profis, sondern für versierte Laien und bot sie für eine kaufkräftige Schicht von bürgerlichen Musikliebhabern in seinem eigenen Verlag an. Was vielleicht die Abschätzigkeit der heutigen Profis erklärt. Alina Ibragimova lässt sich vom Nimbus der Laienmusik nicht abschrecken, denn Virtuosität ist nicht alles. Und in punkto Satztechnik, Ausdruckskraft und Lebendigkeit der Themen braucht sich Telemann nicht zu verstecken hinter Biber, Westhoff, Bach oder Pisendel.

Atmosphärisch und kunstvoll

Mit wenigen hingetupften Noten erzeugt Telemann gleich am Anfang des Zyklus eine berückende, leicht melancholische Atmosphäre. Hier lässt Alina Ibragimova die Linien mit leichter Hand schweifen – wie die Fantasie den menschlichen Geist über die Realität hinaus in ferne Welten entführen kann. Unmittelbar anschließend wird es schon handfester: eine Fuge, wesentlich schlanker als bei Bach, aber nicht minder kunstvoll ausgearbeitet:

Raus aus der untersten Schublade

Von gelehrt bis galant deckt der Komponist das Geschmacksspektrum seines Publikums ab, und Alina Ibragimova greift diese unglaublich vielen Nuancen feinfühlig auf. Sie bläst behutsam den Staub herunter von diesen zu Unrecht in der untersten Repertoire-Schublade der Geiger vergessenen Fantasien – denn sie erweisen sich unter ihren Fingern als Juwelen, die weit mehr sind als bloße Unterrichtsstücke. Wer also Bach schon hat, der sollte direkt daneben die CD mit Telemann stellen.

Telemann: Fantasien für Violine solo

Georg Philipp Telemann
Alina Ibragimova, Violine
Label: Hyperion

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 11. Dezember 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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