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Johann Sebastian Bach Suite für Violoncello solo Nr. 2 in d-Moll

Die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach sind so etwas wie die Königsdisziplin für Cellisten. Die große Herausforderung dieser Suiten liegt nicht nur darin, dass es Solowerke sind, sondern auch darin, dass es schwierig ist, eine eigene Interpretation dieser Werke zu finden, da es kein Autograph gibt. BR-KLASSIK sprach mit dem 2019 verstorbenen niederländischen Cellisten Anner Bylsma über die Suite Nr. 2 d-Moll.

Porträt Johann Sebastian Bach | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Die Sendung zum Anhören

Es gibt also kein Autograph. Doch es existieren vier Abschriften, an denen sich Cellisten orientieren können: Die Abschrift, die Anna Magdalena Bach angefertigt hat und die aller Wahrscheinlichkeit nach nach einer verlorenen Reinschrift von Bach selbst gemacht wurde; eine zweite Abschrift von Johann Peter Kellen von 1726; und zwei weitere von unbekannten Kopisten. Der niederländische Barock-Cellist Anner Bylsma kennt all diese Quellen. Er orientiert sich bei der Interpretation der Cellosuiten aber nicht nur an ihnen: "Man muss man so ein Stück nicht spielen, als ob es wie eine Wurst immer weitergeht, als ob das eine lange Linie wäre", sagt er zum Präludium der zweiten Suite d-Moll. "Kontrapunkt ist nie eine lange Linie. Kontrapunkt ist immer wie ein Puppenspiel. In jeder Hand hat man eine Puppe. Und: Gute Musik redet immer!"

Kontrapunkt ist wie ein Puppenspiel.
Der Cellist Anner Bylsma

Spurensuche für den Interpreten

Wie diese Musik redet, das muss der Interpret herausfinden und sich auf Spurensuche begeben: Wie sollen die Sechzehntel phrasiert und artikuliert werden, damit der Kontrapunkt hörbar wird? Die Phrasierungsbögen sind für Bylsma mit das Wichtigste. Da das Autograph zu den Cellosuiten von Bach verschollen ist, orientiert sich der Cellist vor allem an den Phrasierungen der Partiten, die Bach für Sologeige komponiert hat und die als Schwesterwerk der Cellosuiten gelten. Die zweite Quelle, an der Bylsma sich orientiert ist Anna Magdalenas Abschrift der Cellosuiten.

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Konversation zweier alter Freunde

Durch seine intensive Beschäftigung mit den Cellosuiten von Bach kommt Anner Bylsma zu der These: Bach komponierte nur ein Minimum an Noten, die Musik wird eigentlich erst mit Hilfe des Gedächtnisses vom Zuhörer vervollständigt – so der Orgelpunkt auf D im einleitenden Prélude. Nach diesem in sich gekehrten Prélude, in dem man vor allem über den d-Moll-Akkord nachgedacht hat, folgt die Allemande, eine stilisierte Tanzform. Bylsma erinnert dieser Satz an eine freundliche Konversation zweier alter Freunde, die nicht viel zu sprechen brauchen. In der zweiten Hälfte wird die Musik ein wenig traurig oder dramatisch, bevor es in gleichmütigem Ton weitergeht. "Das kann man in der zweiten Hälfte immer finden", sagt Bylsma. "Es kommt ein tragischer Moment, dann ein Achselzucken, und weiter geht's."

Hierarchie der schweren und leichten Schläge

Cellist Anner Bylsma | Bildquelle: Thierry Martinot/Rue des Archive/Süddeutsche Zeitung Photo Anner Bylsma | Bildquelle: Thierry Martinot/Rue des Archive/Süddeutsche Zeitung Photo Nach dieser ruhig vor sich hinfließenden Allemande kommt die Courante. In der d-moll Cellosuite von Bach ist es eine schnelle Courante. Und auch hier legt Bylsma größten Wert auf die Phrasierung, denn im zweiten Teil der Courante verstärkt der große Bogen über mehrere Sechzehntel die unerwartete, plötzlich eintretende Modulation. Diese schnelle Courante steht ebenso im Dreiertakt wie die ihr nachfolgende Sarabande. Für Bylsma ist es wichtig, in den Dreiertakten eine Hierarchie der schweren und leichten Schläge festzulegen. Bei der Sarabande sind die ersten beiden Schläge gleich schwer, der zweite kommt jedoch etwas früher.

Einmall Moll, einmal Dur

"Leidenschaftlich und ernst wie ein Tango", so beschreibt Bylsma diese Sarabande. Danach folgen zwei Menuette, die zu Bachs Zeiten noch aktiv getanzt wurden. "Das zweite klingt manchmal mehr ländlich, aber das ist nicht immer so", beschreibt Bylsma das Menuett in der barocken Suitenform. "Hier steht das erste in Moll und das zweite in Dur." Während Bach im ersten Menuett die Basstöne komplett notiert hat, sucht man sie im zweiten Menuett vergebens. Hier ist der Spieler gefordert, die Basstöne zu finden, die sich Bach gedacht hat, um der Logik dieses Satzes auf die Spur zu kommen.

Unbeschwertes Ende

Am Schluss jeder der sechs Cellosuiten steht eine Gigue – auch eine alte Tanzform. Den Charakter der Gigue, die man in der zweiten Suite findet, beschreibt Bylsma so: "Die Schule ist zu Ende. Nach gut 20 Minuten gehen alle glücklich nach Hause."

Musik-Info

Johann Sebastian Bach:
Suite für Violoncello solo Nr. 2 d-Moll, BWV 1008


Anner Bylsma (Violoncello)

Label: Sony Classical

Sendung: "Das starke Stück" am 13. Februar 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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