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Krise in Gumpendorf Haydn gesteht eine Schaffenskrise

Gumpendorf, 12. Juni 1799. Aufstehen um halb sieben, rasieren, Frühstück um acht. Dann am Klavier phantasieren, bis eine Idee dabei ist, die sich lohnt aufzuschreiben. Spazierengehen, Mittagessen, Lesen in der eigenen Bibliothek, Musizieren oder – die Idee vom Morgen in Partitur setzten. Zu Bett um halb zwölf.

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So sieht ein normaler Arbeitstag von Joseph Haydn aus. Aber, seit der Uraufführung der "Schöpfung" plagt ihn eine undefinierbare Schwäche. Dabei war "Die Schöpfung" bei ihrer ersten Aufführung im Jahr 1798 ein riesiger Triumph. Erfolge beflügeln Haydn für gewöhnlich.

Schröpfung durch die Schöpfung

Die Schöpfung aber hat ihn geschröpft. Sie wurde für ihn zur kompletten "Er-Schöpfung". Und jetzt steckt Haydn in einer Krise! Abmühen muss er sich mit dem neuen Werk, mit dem Oratorium "Jahreszeiten". An seinen Verleger Christoph Gottlob Breitkopf in Leipzig, der gerade eine Gesamtausgabe aller Haydnwerke vorbereitet, schreibt er: "Die Welt macht mir zwar täglich viele Komplimente. Über das Feuer meiner letzten Arbeiten. Aber niemand will mir glauben, mit welcher Mühe und Anstrengung ich dasselbe hervorsuchen muss."

Haydn klagt schon seit geraumer Zeit über Attacken von Kopffieber, darüber, dass er sich nicht richtig konzentrieren kann. Er greift auch am Klavier immer öfters daneben. Wo ist er geblieben, der einstmals so gewitzte Haydn, fragt sich der Komponist selbst. "Die Nachlassung der Nerven drückt mich dermaßen zu Boden, daß ich in die traurigste Lage verfalle und hierdurch viele Tage außer Stande bin, auch nur eine einzige Idee zu finden."

Offener Umgang mit dem Burn-out

Joseph Haydn, Porträt von Johann Karl Roesler, Wien 1799 | Bildquelle: picture-alliance / akg Bildquelle: picture-alliance / akg Heute würden wir vermutlich sagen, Haydn hatte depressive Schübe – oder ein Burn-out. Wie auch immer die korrekte Diagnose lautet, erstaunlich ist: Haydn geht mit seinem Leiden ganz offen um. Nicht nur der Verleger weiß Bescheid, auch allen Freunden berichtet er von seinen Qualen. Vielleicht nimmt ihm das ja den Schaffensdruck, nämlich wieder ein geniales Werk abliefern zu müssen. Ein Oratorium, das es mit der Schöpfung aufnehmen kann. Das er, trotz des miserablen Textes, wie Haydn sagt, komponieren möchte. Heraus kommt Joseph Haydn jedoch aus dieser Schaffenskrise von 1799 nicht mehr. Nur mit allergrößter Mühe vollendet er seine "Jahreszeiten", dazu noch eine Harmoniemesse. Und das Streichquartett op. 103, das bleibt unvollendet.

Die Jahreszeiten hätte ich nie schreiben sollen. Ich habe mich übernommen!
So Joseph Haydn an seinen Biographen Albert Christoph ein Jahr vor seinem Tod

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 12:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 12. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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