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Interpretationen im Vergleich Puccinis "La Fanciulla del West"

Nach den der Erfolgsopern "La Bohème", "Tosca" und "Madama Butterfly" brauchte Puccini lange, um zu seinem nächsten Werk zu finden. In "La Fanciulla del West" ging der Komponist neue Wege, schuf seine beste Partitur – wie er selbst fand. Dennoch hatte es die Wild-West-Oper schwer, sich im Spielplan und in der Diskografie durchzusetzen: BR-KLASSIK-Moderator Johann Jahn hat die wenigen Live-Mitschnitte und Studioproduktionen, die existieren, genauer unter die Lupe genommen.

Der italienische Komponist Giacomo Puccini 1923 in Wien. | Bildquelle: © picture alliance/IMAGNO

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In "La Fanciulla del West" macht Puccini einiges anders als in seinen vorherigen Opern, die ihm so viel Ruhm eingebracht haben: Keine Toten gibt es zu beklagen und dann folgt auch noch ein Happy End. Das kennt man von dem italienischen Komponisten eher nicht. Dazu fordert er den drei Hauptpartien mehr ab als gewohnt: Für die Rolle der Minnie muss eine Sopranistin dramatische Kraft mitbringen, sowie deklamatorische Fähigkeiten in der Tiefe und eine satte Mittellage. Die Tenorpartie des Dick Johnson hat sich ebenfalls vom lyrischen Tenor – wie etwa in "La Bohème" – zum dramatischeren gewandelt. Seine Stellen in der Mittellage sind fast immer über vollem Orchester. Und die finster-böse Baritonrolle des Jack Rance braucht eine veritable, fast schon an Wagner geschulte Schwärze und psychosoziales Einfühlungsvermögen, um diesem Fiesling eine gewisse Verletzlichkeit abzugewinnen. Ob das bei der Uraufführung 1910 an der Met in New York mit Enrico Caruso und Emmy Destinn so gewesen ist, sei dahingestellt. Hier eine Auswahl späterer Einspielungen:

Der Klassiker aus Rom

Es ist schon kurios, dass von den insgesamt nur drei Studioaufnahmen der "Fanciulla" zwei im selben Jahr entstanden. Das war 1958, und die Einspielungen könnten unterschiedlicher kaum sein: Die DECCA kam mit dem damaligen Traumpaar Renata Tebaldi und Mario del Monaco raus, eine römische Produktion unter der Leitung von Franco Capuana. Die Aufnahmequalität ragt heraus, gepaart mit überzeugenden Rollenportraits, wobei man Renata Tebaldi in der Höhe ihre fehlende Kraft anhört. Die schönste, engelsgleiche Mittellage, fabelhafte Diktion und ausgezeichnetes Rhythmusgefühl bringt sie auf jeden Fall mit. Daneben ein testosterongesättigter Mario del Monaco mit strahlender Höhe und ein kraftstrotzender Cornell MacNeil als baritonaler Gegenspieler Jack Rance. Der "Klassiker" unter den Aufnahmen:

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Puccini: La Fanciulla del West | Bildquelle: Ming-wei Lien (via YouTube)

Puccini: La Fanciulla del West

Brünnhilde aus dem Eisfach

Nur wenige Monate danach zog die EMI um Label-Legende Walter Legge mit Birgit Nilsson und dem brasilianischen Tenor Joao Gibin nach, zusammen mit dem Orchester der Scala aus Mailand unter Lovro von Matacic. Die Aufnahmetechnik bleibt weit hinter jener der Decca zurück, aber die junge Nilsson als Minnie ist eine Entdeckung: entschlackt, ohne übertriebenes Vibrato, mit brünnhildenhaften Spitzentönen wie aus dem Nichts, kristallklar, ohne Mühen – für "Puccinisten" allerdings vermutlich etwas zu unterkühlt:

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Puccini: La Fanciulla del West | Bildquelle: Ming-wei Lien (via YouTube)

Puccini: La Fanciulla del West

Dem Bühnenerlebnis zum Greifen nahe

Die dritte Studioproduktion dieser heiteren Puccini-Oper stammt aus London. 1977 dirigierte der 41-jährige Zubin Mehta das Orchester von Covent Garden. Placido Domingo legt hier seine früheste dokumentierte Gesamteinspielung des Dick Johnson vor, an der Seite der höhensicheren Carol Neblett als Minnie und Sherill Milnes als Rance: aufpeitschendes Dirigat, tolle und schauspielaffine Stimmen, die einem Bühnenerlebnis erfreulich nahekommen:

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Puccini: La Fanciulla del West / Act 1 - Chi c'è per farmi i rici? | Bildquelle: Various Artists - Topic (via YouTube)

Puccini: La Fanciulla del West / Act 1 - Chi c'è per farmi i rici?

Schunkeln im Bierzelt statt Duell im Saloon

Placido Domingo sollte die Rolle noch unzählige Male bis in die 1990er-Jahre verkörpern. Einige seiner Auftritte sind auch als Live-Mitschnitt auf CD oder DVD festgehalten, wie etwa in Mailand 1991: Dort trüben allerdings zwei Dinge den Gesamteindruck: eine angestrengt von unten ansingende Mara Zampieri und ein auffallend schleppender, uninspirierter Lorin Maazel am Pult. Das einminütige Orchestervorspiel mündet in einen Ragtime – von Puccini als augenzwinkernde Referenz für den Wilden Westen gedacht – der sich bei Maazel anhört wie das schlaftrunkene Schunkeln in einer Bierhalle.

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Puccini: La Fanciulla del West | Bildquelle: Ming-wei Lien (via YouTube)

Puccini: La Fanciulla del West

Der wilde Westen in New York

Dann lieber die legendäre Met-Inszenierung von Giancarlo Del Monaco. Dort kann man neben einem glänzenden Domingo auch zwei fulminant sich in die Rolle schmeißende Stimmen bestaunen: Barbara Daniels und Sherill Milnes. Hier das grandiose Finale des zweiten Akts, als Minnie den Sheriff im Pokerspiel betrügt:

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Sherrill Milnes and Barbara Daniels in Puccini's "La Fanciulla del West": "Siete pronto?..." | Bildquelle: Roberto Mastrosimone (via YouTube)

Sherrill Milnes and Barbara Daniels in Puccini's "La Fanciulla del West": "Siete pronto?..."

Schweißtreibende Knisterklänge

Freunde des Historischen Klangs kommen mit dem Live-Mitschnitt aus der Mailänder Scala von 1956 auf ihre Kosten. Man muss sich zwar an die oft überforderte Gigliola Frazzoni als Minnie gewöhnen, aber was nimmt man nicht alles in Kauf für einen jungen Franco Corelli in stratosphäriger Topform und vor allem für Tito Gobbi als dunkel-schmierenden Sheriff, dessen Schweiß man geradezu durch die Aufnahme riechen kann.

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Puccini: La Fanciulla del West, Act I - Frazzoni, Corelli, Gobbi, cond. Votto (Live, 1956) | Bildquelle: PucciniMD (via YouTube)

Puccini: La Fanciulla del West, Act I - Frazzoni, Corelli, Gobbi, cond. Votto (Live, 1956)

Der neue Klassiker aus Wien

Unter den modernen Live-Mitschnitten ragt vor allem die Produktion aus der Wiener Staatsoper von 2013 hervor. Glutvoll-saftig und breitbeinig-kraftvoll erlebt man Jonas Kaufmann in einer echten Paraderolle. Nina Stemme gibt eine stimmlich zunächst etwas unsichere und vibratoverliebte Minnie, die aber im Laufe des Abends merklich auftaut und ihr wagner-erprobtes Volumen sinnvoll auskostet. Dazu ein hervorragender Thomasz Konieczny als Rance, sehr sängerfreundlich geleitet von Franz Welster-Möst.

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La Fanciulla del West. Giacomo Puccini. (Stemme & Kaufmann) | Bildquelle: José Antonio Navarro (via YouTube)

La Fanciulla del West. Giacomo Puccini. (Stemme & Kaufmann)

Sendung: "Interpretationen im Vergleich" am 28. Mai 2019 ab 20.05 Uhr auf BR-KLASSIK

DIE GESAMTE INTERPRETENLISTE DER SENDUNG "INTERPRETATIONEN IM VERGLEICH" MIT Puccinis „La Fanciulla del west“

Gigliona Frazzoni (Minnie), Franco Corelli (Dick Johnson), Tito Gobbi (Jack Rance); Orchestra del Teatro alla Scala di Milano, Antonino Votto
Cantus Classics (Live Mitschnitt: Scala Mailand, 1956)

Renata Tebaldi (Minnie), Mario del Monaco (Dick Johnson), Cornell MacNeil (Jack Rance); Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Franco Capuana 
Decca (Studio: Rom, 1958)

Brigit Nilsson (Minnie), Joao Gibin (Dick Johnson), Andrea Mongelli (Jack Rance); Orchestra del Teatro alla Scala di Milano, Lovro von Matacic 
EMI (Studio: Mailand, Scala, 1958)

Magda Olivero (Minnie), Gastone Limarilli (Dick Johnson), Lino Puglisi (Jack Rance); Orchestra del Teatro Comunale "G. Verdi" di Trieste, Arturo Basile 
Nuova Era (Live Mitschnitt: Triest 1965)

Carol Neblett (Minnie), Placido Domingo (Dick Johnson), Sherrill Milnes (Jack Rance); Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden, Zubin Mehta 
Deutsche Grammophon (Studio: London 1977)

Maria Zampieri (Minnie), Placido Domingo (Dick Johnson), Juan Pons (Jack Rance); Orchestra del Teatro alla Scala di Milano, Lorin Maazel 
Sony (Live-Mitschnitt: Scala, 1991)

Barbara Daniels (Minnie), Placido Domingo (Dick Johnson), Sherill Milnes (Jack Rance); Metropolitan Opera Orchestra, Leonard Slatkin. Regie: Giancarlo del Monaco 
Deutsche Grammophon (DVD: MET 1992)

Daniela Dessì (Minnie), Fabio Armiliato (Dick Johnson), Lucio Gallo (Jack Rance); Orchestra "Città Lirico", Alberto Veronesi 
Solo Voce (Live-Mitschnitt: Torre del Lago 2005)

Eva-Maria Westbroek (Minnie), Zoran Todorovich (Dick Johnson), Lucio Gallo (Jack Rance); Niederländische Philharmonie, Carlo Rizzi. Regie: Nikolaus Lehnhoff 
Opus arte/Naxos (DVD: Oper Amsterdam 2009)

Eva-Maria Westbroek (Minnie), Carlo Ventre (Dick Johnson), Ashley Holland (Jack Rance); Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Sebastian Weigle 
Oehms classics (Live-Mitschnitt, Frankfurt 2013)

Nina Stemme (Minnie), Jonas Kaufmann (Dick Johnson), Thomas Konieczny (Jack Rance); Orchester der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst. Regie: Marco Arturo Marelli 
Sony (DVD: Wiener Staatsoper 2013)

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Dienstag, 18.Juni, 23:10 Uhr

Lukas Merkelbach

Ein weiterer toller Live-Mitschnitt

Beim Label Regis gibt es einen Mitschnitt aus Florenz aus dem Jahr 1954. Trotz entsprechend teils rumpelnder Tonqualität überzeugt Eleanor Steber als Minnie, Gian Giacomo Guelfi als Rance und nochmals del Monaco als Dick Johnson. Überragend, packend begleitet, vibrierend musiziert unter der Leitung des einzigartigen Dimitri Mitropoulos.

Dienstag, 18.Juni, 21:57 Uhr

Wolfgang Zörner

Fanciulla

Eine packende Sendung mit viel Kompetenz bei der Sänger-Präsentation. Danke!

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