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Der erste Ragtime wird gedruckt Musikalische Satire – gut versteckt

New York, 3. August 1896. Der erste Ragtime wird gedruckt. Eigentlich ist es gar kein Ragtime. Es ist nur ein Lied mit Klavierbegleitung, aber auf dem Titelblatt wird als besondere Attraktion angekündigt: eine Strophe mit speziellem "Negro Rag Accompaniment". Es ist das erste Mal, dass auf einem gedruckten Notenblatt das Wort "Rag" zu lesen ist.

Titelblatt "All coons look alike to me" – Cakewalk von Ernest Hogan | Bildquelle: Wikimedia Commons

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Inhaltlich ist das Lied kein schönes Lied: "All coons look alike to me", ist der Titel. Das heißt auf Deutsch: "Für mich sehen alle Neger gleich aus". Klingt rassistisch und war auch so gemeint. Ein schwarzes Mädchen hat einen großzügigen neuen Liebhaber und gibt dem alten den Laufpass. Mir doch egal, sagt sie. Ob mich der eine liebt oder der andere – für mich sehen eh alle Schwarze gleich aus; Hauptsache, das Geld stimmt.

Der Komponist als Minstrel-Komiker

Der Komponist und Texter des Lieds war – kaum zu glauben – ein Schwarzer. Ernest Hogan, der erste afroamerikanische Entertainer, der in einer Broadway-Show aufgetreten ist. Hogan tingelte anfangs in Minstrel-Shows herum – weiße und schwarze Bühnenkomiker traten hier mit schwarz bemalten Gesichtern auf, zum Amüsement der weißen unten im Zuschauerraum. Wer hier als Farbiger mitspielte, dem ging die Karriere über das Künstlerethos.

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Ernest Hogan - All coons look alike to me (Piano) | Bildquelle: pghirin (via YouTube)

Ernest Hogan - All coons look alike to me (Piano)

Die Weißen kapierten den Witz des Cakewalk nicht

Musikalisch ist "All coons look alike to me" kein Ragtime, sondern ein Cakewalk. Cakewalks gehörten zu den Vergnügungen der Sklaven. Fein gekleidet – die Damen mit Reifröcken, die Herren in Frack und Zylinder – machten sie sich über das gestelzte Gehabe der weißen Herrschaft lustig. Wer am Ende die komischsten Verrenkungen aufgeführt hatte, war Sieger und bekam den großen Kuchen, den "Cake". Die weißen Plantagenbesitzer sahen zu dabei und amüsierten sich über die komischen Schwarzen. Sie bekamen nicht mit, dass bei all dem Getue eigentlich sie gemeint waren.

Viel Geld für ein kleines Lied

Ernest Hogan hat mit seinem Rag-Lied ein Vermögen gemacht: 26.000 Dollar habe es ihm eingebracht, heißt es. Für die Summe hat ein Arbeiter damals zwanzig Jahre lang schuften müssen. Auf den rassistischen Text angesprochen, hat Hogan später gesagt, es täte ihm leid. Das Geld hat er trotzdem behalten.

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 03. August 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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