Er hat für den Pianisten Emanuel Ax ein Klavierkonzert geschrieben, er hat für die Geigerin Lisa Batiashvili, für den Cellisten Yo-Yo Ma und auch für den Klarinettisten Martin Fröst komponiert: der Schwede Anders Hillborg. Nun wird der Komponist 70 Jahre alt.
Bildquelle: Mats Lundqvist
Ziemlich sportlich radelt Anders Hillborg im Regen den Hügel hinauf. Er kettet das Fahrrad fest und kommt triefend ins Café. Für heute hat er genug komponiert. "Ich habe keine geregelte Arbeitszeit, aber ich wünschte manchmal, ich wäre so diszipliniert wie Strawinsky. Immer zur selben Zeit drei Stunden komponieren. Das klingt erst mal nach nicht viel. Aber das reicht absolut. Man kann nicht viel länger richtig kreativ sein."
Zurzeit arbeitet Hillborg an einem Orchesterwerk, das der finnische Dirigent Klaus Mäkelä bei ihm bestellt hat. Wie bei jedem neuen Stück begann alles mit einem leeren Blatt. "Das ist der absolute Horror. Das weiße Papier. Um damit klarzukommen, habe ich bestimmte Rituale entwickelt: Ich nehme ein bisschen Material aus einem alten Stück und baue Blöcke aus den Harmonien. Die schiebe ich dann hin und her. Ich knüpfe also am Alten an und das macht es etwas leichter", sagt Hillborg. "Trotzdem: So ein leeres Blatt ist beängstigend."
Mir geht es weniger darum, einen bestimmten Stil zu zelebrieren, sondern ein Erlebnis zu schaffen.
Anders Hillborg schreibt Musik fürs Fernsehen, Konzerte für berühmte Solistinnen und Solisten, er schüttelt wilde Zugabenstücke aus dem Ärmel und zelebriert auch mal die Langsamkeit. Seine Vielfalt sei etwas typisch Skandinavisches, meint er: "Wir hier im Norden haben nie zur mitteleuropäischen Avantgarde gehört. Klar bin ich beeinflusst von Stockhausen und Xenakis, aber für mich hat dieses Anbeten der Zwölfton-Technik etwas Totalitäres. Etwas Idiotisches. Man verliert dabei so viele Klangfarben."
Anders Hillborg lebt vom Komponieren. Er verfügt über kein finanzielles Polster, keine Professur, die das Geld Monat für Monat aufs Konto spült. In die Lehre zu gehen, hat Hillborg strikt abgelehnt, trotz vieler Angebote. Entschlossen rührt er in seiner Tasse. "Ginge ich in die Lehre, ginge das immer auf Kosten des Komponierens. Das wollte ich nie. Und noch was anderes kommt dazu: Wer finanziell ausgesorgt hat, verliert oft das Publikum aus den Augen und komponiert irgendwelche verrückten Dinge, die kaum einer hören will. Da frage ich mich: 'Wenn man kein Publikum erreichen will, wozu denn dann überhaupt komponieren?'"
Das Komponieren an sich stellt Anders Hillborg überhaupt nicht infrage, auch nicht im Hinblick auf den Vormarsch von Künstlicher Intelligenz. Anders Hillborg lebt ihm digitalisierten Schweden und sieht es pragmatisch: "Wir sollten in der Lage sein, die KI zu nutzen. Uns mit ihr anfreunden. Wie das dann rechtlich aussieht, was Inspiration ist, was Diebstahl von geistigem Eigentum, das ändert am Schreiben von Musik erst mal nichts. Aber das wird zukünftig bestimmt eine komplizierte juristische Angelegenheit."
Komponist Anders Hillborg | Bildquelle: hillborg.com
Wenn der Komponist der KI einen Schritt voraus ist, gehen einem auch nicht die Ideen aus. Weil Inspiration lauert an jeder Ecke: "Es kann sogar das Quietschen der Tür sein. Ich bin sehr neugierig auf alle erdenklichen Arten von Klängen und darauf, wie sie eingesetzt werden können." Es kann auch die Weite des skandinavischen Waldes sein, eine lustige Geschichte, ein Stück von Jean Sibelius oder das Kichern der Frau am Nebentisch. Meint Anders Hillborg zuversichtlich, ehe er den letzten Schluck Kaffee hinunterkippt. "Mir geht es weniger darum, einen bestimmten Stil zu zelebrieren, sondern ein Erlebnis zu schaffen. Es freut es mich, wenn mein Stück dann irgendwie eine eigene Identität hat."
Wenn man kein Publikum erreichen will, wozu denn dann überhaupt komponieren?
Im kommenden Jahr ist der Komponist Anders Hillborg wieder beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast mit seinem Werk "MAX", das er für den Pianisten Emanuel Ax komponiert hat. Sein aktuelles Werk wird dann im kommenden Jahr im Concertgebouw in Amsterdam von Klaus Mäkelä beim Mahlerfest uraufgeführt.
Sendung: "Leporello" am 31. Mai 2024 auf BR-KLASSIK
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