New York, 20. November 1918. Der Komponist und Klaviervirtuose Sergej Prokofjew gibt sein Amerika-Debüt. Finger aus Stahl hat dieser junge, begabte Pianist. Das meint der Kritiker der "Times" damals über Prokofjews Auftritt. Eigentlich sollte dies der Start einer großen Karriere sein, doch Prokofjew lässt die Zügel schleifen. Deswegen ist seine Zeit in Amerika nur von kurzer Dauer.
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Alles an ihm ist aus Stahl, schreibt der Kritiker der "New York Times", seine Finger, seine Handgelenke, sein Bizeps und seine Schulterblätter: "Er ist ein regelrechtes Stahl-Kartell des Klangs." Das Konzert Prokofjews in der Aeolian Hall ist einer der Höhepunkte der New Yorker Saison. Die Ankunft des Russen im September war den Zeitungen der Stadt bereits eine eigene Meldung wert. An diesem Abend sitzen im Publikum nun Größen wie der polnische Pianist und Erfinder Josef Hofmann oder Sergej Rachmaninow – und natürlich auch viele der Amateurklavierspieler der Millionenstadt. "Ein Parterre aus Pianisten begrüßte den Newcomer mit dynamischem Applaus", heißt es in der "New York Times".
Dabei hätte Prokofjew sein Debut bereits einen Monat zuvor auf der Bühne der Carnegie Hall geben sollen – doch das Konzert hat Überlänge, und Prokofjews Auftritt wird aus Zeitgründen vom Programm gestrichen. Nach Amerika hat ihn der Industrielle und Landmaschinen-Millionär Cyrus McCormick Junior eingeladen, der ihn im Jahr zuvor auf einer Geschäftsreise nach Russland kennengelernt hatte. Prokofjew sieht in Russland nach der Oktober-Revolution keine Zukunft für seine Musik.
Bei seinem Amerika-Debüt spielt Prokofjew nicht nur eigene Werke – seine Vier Etüden, seine Zweite Sonate – sondern auch Stücke von Rachmaninow und Skrjabin. Der Kritiker meint: "Er ist ein Psychologe der eher hässlichen Emotionen, bisweilen gibt es aber auch Momente exquisiter Zärtlichkeit in seiner Musik."
Nur etwa eineinhalb Jahre bleibt Prokofjew in den USA – das Geld wird knapp, denn zugunsten seiner Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" vernachlässigt er seine eigentlich recht lukrative Solistenkarriere. "An seinem Erfolg kann kein Zweifel sein. Aber – ob er wohl von Dauer ist?", fragt sich der "New York Times"-Kritiker. Ja. Ist er. Nicht zuletzt, weil er bei einem seiner Auftritte in New York seine künftige Frau Carolina Codina kennlernt, die er ein paar Jahre später im bayerischen Ettal heiratet.
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Prokofiev | Piano Sonata # 2 Op.14 | Belyavsky
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Sendung: "Allegro" am 20. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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